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Auf gute Nachbarschaft!

Wer im Seniorenzentrum lebt, muss nicht von der Außenwelt isoliert sein. Viele AWO Häuser sind eng mit ihrem Stadtviertel verbunden und pflegen den Kontakt zu Kindergärten, Schulen, Vereinen, zu Tierheimen, Handarbeits- und Sportgruppen. Die Ehrenamtlichen spielen dabei eine besonders große Rolle.

Ein Bericht über das facettenreiche Leben im Quartier.

Nahezu vier Generationen liegen zwischen Benedikt Wagner und Margot Polenz. Und doch gibt es etliche Gemeinsamkeiten zwischen dem 20-jährigen Wuschelkopf mit dem gewinnenden Lachen und der 90- jährigen Ex-Bankangestellten: Beide sind sehr engagiert, offen für die Bedürfnisse anderer und haben vor allem das gleiche Anliegen, nämlich die Bewohner im AWO »Bürgerstift « Landsberg ins alltägliche Leben zu integrieren. Das tun sie wiederum auf verschiedene Art und Weise: Frau Polenz, die in der Nachbarschaft wohnt, kommt seit zwölf Jahren jeden Montag ins Haus, wo sie die äußerst beliebte wie fröhliche Spielerunde leitet. Benedikt Wagner, derzeit in der Ausbildung zum Altenpfleger, gehört zu den Initiatoren des Schulprojekts »Pflege ohne Grenzen«. Dabei geht es ihm und den anderen Azubis darum, den manchmal starren Heimablauf aufzubrechen und mehr Zeit mit den Senioren zu verbringen. So unternehmen die 21 jungen Frauen und Männer der »Heimerer Altenpflegeschule « mit 11 Bewohnern aus verschiedenen Pflegeheimen – darunter auch aus dem AWO »Bürgerstift« – einen Kurzurlaub in den bayerischen Wald. »Die Teilnehmer sollen mal raus aus der Routine und neue Kontakte knüpfen «, wünscht sich Wagner. »Und sicherlich werden auch wir während dieser drei Tage viel lernen, zum Beispiel wie es sich für einen pflegenden Angehörigen anfühlt, rund um die Uhr für die Betreuung da zu sein.«

Nicht nur dieses Projekt zeigt, wie wichtig dem Landsberger Haus und seiner jungen Einrichtungsleiterin Tanja Hipp der Kontakt »nach draußen« ist. Bereits 2007 wurde mit der Eröffnung des Mehrgenerationenhauses (MGH) ein deutliches Signal gesetzt. Mittlerweile ist das MGH eine feste Größe in dem knapp 28.000-Einwohner-Städtchen. Neben Computerkursen, in denen Oberschüler den Senioren das Skypen beibringen, gibt es zum Beispiel einen Mehrgenerationenchor. Auch bei der Vermittlung von Babysittern und bei der Unterstützung von Alleinerziehenden können sich die Landsberger an das MGH wenden. »Mit diesem Angebot wollen wir Alt und Jung wieder mehr in Kontakt miteinander bringen«, sagt MGH-Leiterin Margarita Däubler.

Däubler sieht hier Vermittlungsbedarf; sie hat auch sogenannte Lese- und Mathepaten etabliert, also Ruheständler, die den Kindern der nahe gelegenen »Grundschule Platanenweg « Bücher vorlesen oder mit ihnen Rechenaufgaben lösen. Außerdem hat das MGH das Mentorenprojekt »Alt hilft Jung« entwickelt: Ehrenamtlich tätige Bürger begleiten auf Basis ihrer persönlichen und fachlichen Erfahrungen gefährdete Jugendliche auf dem Weg in die Berufsausbildung – und zwar Hand in Hand mit dem zuständigen Jugendamt und der Arbeitsagentur. Damit soll die soziale Ausgrenzung in eine Rand- oder Risikogruppe verhindert werden. »Da haben sich mittlerweile schöne Verbindungen ergeben«, weiß Frau Däubler. »Allein schon, wenn die Jugendlichen spüren, wie ihre Paten an sie glauben, stärkt das ungemein ihr Selbstbewusstsein.«

Neben diesen generationsübergreifenden Konzepten vermittelt das AWO Haus auch klassische Dienstleistungen, z. B. einen Begleitservice zum Arzt oder Supermarkt. »Tatsache ist: Die meisten Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause leben. Aber irgendwann merken sie, dass sie Unterstützung brauchen«, sagt Einrichtungsleiterin Tanja Hipp. »Um diese Versorgungslücke zu schließen, bieten wir solche niedrigschwelligen Hilfen an.«

Diese Offenheit ist derzeit überall zu beobachten. Ob in Bayern oder Brandenburg – der Blick über den Tellerrand ist gefragt! Nur gemeinsam lassen sich Lösungsansätze für die Herausforderung einer immer älter werdenden Gesellschaft finden. Und mehr denn je liegt hierbei die Zukunft im »Quartier«.

Aber was bedeutet eigentlich das Wort, das so viel von sich reden macht? Dr. Thomas Franke vom Deutschen Institut für Urbanistik:

Kernidee einer sozialen Stadt, so der Wissenschaftler, sei es, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern und die Menschen am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.

Das entspricht dem solidarischen Leitgedanken der AWO, die mit ihren vielfältigen Einrichtungen und Angeboten in den Bereichen Senioren, Familie, Gesundheit und Arbeitsmarkt einen gewichtigen Beitrag zur Sicherung einer sozialen Infrastruktur leistet.

Um diese Entwicklung weiter zu fördern, gibt es seit vergangenen Herbst das bundesweite Projekt »AWO stark im Quartier«. An rund 30 Standorten werden Möglichkeiten für das Zusammenleben im Viertel geschaffen. Sehr erfolgreich wird dies bereits in Frankfurt an der Oder praktiziert, unter Beteiligung des dortigen AWO Kreisverbandes. Unter dem Motto »Ihr Bündnis für mehr Glück!« stellt er Dienstleistungen rund um das Thema »Wohnen im Alter« bereit. Partner etwa ist eine Wohnungsbaugenossenschaft, die in diversen Bezirken Senioren- und Familientreffs realisiert und damit das Gemeinschaftsgefühl der Einwohner stärkt. Schließlich geht es auch darum, der Einsamkeit gerade älterer Menschen vorzubeugen. Wer nicht mehr berufstätig ist und weit weg von seiner Verwandtschaft lebt, kann schnell ins Abseits geraten.

Dabei ist das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und gemeinsamen Erlebnissen groß wie nie zuvor. Es herrscht ein regelrechter Boom von Kiez-Initiativen. Eine der größten ist das »Netzwerk Nachbarschaft« mit inzwischen 160.000 Mitgliedern. Es wird vom Bundesfamilienministerium und dem Deutschen Städtetag unterstützt. Das A und O für das Gelingen solcher Aktionsgruppen ist das freiwillige Engagement von Frauen und Männer, die sich unentgeltlich um das Gemeinwohl kümmern. Zu diesen »Helden des Alltags« gehören Theresia Petschl und Katharina Hien. Sie haben 1996 einen Besuchsdienst initiiert, dessen mittlerweile 25 Ehrenamtler sich um die Bewohner des Seniorenzentrums Geiselhöring kümmern. »Bei uns gibt es viele nicht-berufstätige Frauen ab 40, die sich engagieren«, so die stellvertretende Einrichtungsleiterin Brigitte Schmalhofer. »Ohne ihre Unterstützung würden wir schnell an unsere Grenzen
stoßen.« Drei Gruppen teilen sich das Freizeitprogramm auf; sie musizieren, singen, malen, backen, machen Ausflüge und begleiten die Herrschaften zu den Gottesdiensten.

»Für mich ist das gelebter Glaube«, sagt Theresia Petschl, die fast täglich im AWO Haus vorbeischaut; und ihre Mitstreiterin Katharina Hien, die sieben Kinder auf die Welt brachte, fügt hinzu: »Wir sind hier wie eine Familie.«

Die AWO Geiselhöring selbst kümmert sich auch um ältere Menschen außerhalb des Seniorenzentrums. Um ihnen und pflegenden Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wurde 2006 »in domo« gegründet. »Rund 75 Geiselhöringer werden auf diese Weise von uns zu Hause betreut«, erklärt Leiterin und Sozialpädagogin Helene Giglberger. »Zu unseren Leistungen gehören Besuchsdienste, Haushaltshilfen, die Vermittlung des Hausnotrufs, Essen auf Rädern, Einkaufs- und Wäscheservice, aber auch häusliche Betreuung von demenzkranken Senioren sowie Veranstaltungen, z. B. Kino oder Frühstückstreff.«

Damit werden Bindungen und Vertrauen aufgebaut, sodass es später leichter fällt, wenn ein Umzug ins Heim ansteht. Eine, die den Gedanken des »Quartiers« schon lebte, bevor es zum Modewort wurde, war Angelika Schach, die rund 350 Kilometer westlich von Geiselhöring das AWO Seniorenhaus in Speyer leitet. Wer ins »Burgfeld« zieht, ist nicht abgeschnitten, sondern kann seine Bekannten weiterhin beim Mittagstisch oder bei den zahlreichen Veranstaltungen treffen. Auch besteht die Möglichkeit, Einkaufszettel abzugeben, um sich Sachen ins Zimmer bringen zu lassen. »Da ich aber möchte, dass sich die Menschen begegnen und austauschen, habe ich daraus jetzt Einkaufsfahrten gemacht«, freut sich Frau Schach. »Das heißt, wir fahren durch die Nachbarschaft und nehmen die Leute mit in die Geschäfte – das macht allen mehr Spaß.« Und donnerstags zum Tanzcafé hält es ohnehin niemand mehr in den eigenen vier Wänden. »Da geht es so lautstark zu, dass ich kaum telefonieren kann.« Den Tanztee-Radau nimmt die Einrichtungsleiterin gerne in Kauf, denn: »Ich mag diese Lebendigkeit.«

 

 

 

 

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