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Ein Jahrhundert Leben! Jahrgang 1914

In einer neuen Serie stellt das AWO Journal Frauen und Männer vor, die Jahrgang 1914 oder älter sind. So wie Erika Ubrig und Doris Misselwitz aus dem AWO Seniorenzentrum »Maria Demmel« in Landshut.

Sie kamen in der Kaiserzeit zur Welt und werden heute von einer Frau regiert. Sie erlebten die »Goldenen 20er« mit Tanztee und wirtschaftlichem Aufschwung, aber auch mit Arbeitslosigkeit, Inflation und aufkeimendem Nationalsozialismus in der Weimarer Republik. Zwei Weltkriege und die Teilung Deutschlands gehören ebenso zu ihrer Biografie wie die Mondlandung, der Mauerfall und der erste farbige Präsident der USA. Ein geschichtsträchtiges Jahrhundert, in dem jeder Hundertjährige auch seine ganz eigene Geschichte hat. So wie Erika Ubrig und Doris Misselwitz aus dem AWO Seniorenzentrum »Maria Demmel« in Landshut.

Am 1. August 1914 erklärt Deutschland Russland den Krieg. Einen Tag später erblickt Erika in Leipzig das Licht der Welt. Wieder einen Tag darauf folgt die Kriegserklärung an Frankreich. Es sind turbulente Zeiten und der Name, den ihr die Eltern geben, passt: Wie die Heideblume ist auch Erika widerstandsfähig und lässt sich durch nichts und niemanden unterkriegen. Ihr Glück fernab der Weltpolitik findet sie im Sport, besonders Hockey hat es ihr angetan. »Ich war als Mittelstürmerin gefürchtet und stand mit meinem Team oft in der Zeitung«, sagt sie und fügt mit einem Lachen hinzu: »›Erika vor, noch ein Tor!‹, riefen damals die Leute von der Tribüne.« Pure Lebensfreude strahlt die (noch) 99-Jährige aus, wenn sie von früher erzählt. Eine Stürmerin ist sie bis heute geblieben. Wenn im Haus gefeiert wird und Musik ertönt, hält Erika Ubrig nichts mehr auf dem Stuhl. »Dann schmeiße ich meinen Gehstock weg und tanze los.« Oder sie steppt, das kann sie nämlich auch.

Viel Bewegung ist auch das Lebenselixier von Doris Misselwitz. Sie hat im Januar ihren 102. (!) Geburtstag gefeiert. »Hinsetzen und nur rumgucken – das ist nichts für mich«, sagt sie. »Ich bin in meinem Leben ein paar Mal umgezogen; und das erste, was ich am neuen Ort angesteuert habe, war der Sportverein.« Bis zu ihrem neunten Lebensjahr wächst Doris mit zwei Schwestern in Dresden auf; sie erinnert sich an eine sehr glückliche Kindheit. »Wir sind mit unserem Vater oft in den Zirkus gegangen und haben immer wieder schöne Sachen unternommen.« Dann wird der Vater als Betriebsleiter nach Meuselwitz, einem kleinen Ort in Thüringen, versetzt. In der dortigen Turngemeinde lernt sie mit 16 ihren späteren Mann Erich kennen. Zehn Jahre später, 1937, kommt ihr Sohn Bernd zur Welt. »Mein Mann, der in einer Waffenfabrik arbeitete, wurde vom Krieg in Mailand überrascht, als er Maschinen kaufen wollte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder zu uns nach Hause kam.« Nach dem Krieg flüchtet die kleine Familie in den Westen nach Bad Neustadt, wird dort von Bekannten aufgenommen. Kaum angekommen, marschiert Doris Misselwitz schnurstracks zum örtlichen Tischtennisverein. »Ich unternehme einfach gerne etwas in der Gemeinschaft und habe diese Zeit sehr genossen«, sagt sie. »Wir waren eine nette Truppe und durch die Turniere viel unterwegs.«

Sorgenfrei verläuft das Leben der zierlichen Frau mit den wachen Augen und der erstaunlich glatten Haut allerdings nicht. Vor fünf Jahren erlag ihr Sohn einer Blutkrankheit und sie verlor »mein einziges bisschen«. Wenn ein Kind vor den Eltern stirbt, ist das ein besonders schlimmer Schicksalsschlag. Trotz allem vergräbt sich die rüstige Seniorin nicht, sondern nimmt aktiv am Leben im Seniorenheim teil. Zwei kleine Sünden gönnt sie sich bis heute: Rauchen und hin und wieder ein Gläschen Eierlikör. Na dann: Prosit aufs nächste Jahrzehnt!

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