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Endlich ich!

© iStockphoto.com / FredFroese

Elton John hat’s getan, Berlins Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit auch, ebenso die Entertainerin Hella von Sinnen und die Journalistin Anne Will – sie alle haben sich offiziell zu ihrer Homosexualität bekannt. Manche brauchten etwas länger: Der US-amerikanische Barry Manilow lernte seinen jetzigen Mann 1978 kennen, sprach aber erst knapp 40 Jahre später, mit 73 Jahren, über seine Liebe. Erleichtert freute er sich nun über die positiven Reaktionen seiner Fans.

Was für die Stars scheinbar einfach und selbstverständlich ist, ist doch im normalen Leben ein langer Weg, vor allem dann, wenn man nicht mehr jung ist. Überhaupt hat man das Gefühl, Homosexualität habe mit Altsein wenig zu tun. Wer an Schwule und Lesben denkt, denkt an bunte Paraden und schrille Kneipen. Schwule und Lesben jenseits der 60 sind im Alltag eher unsichtbar, in ländlicheren Regionen noch viel mehr als in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Köln.

Verwunderlich ist das nicht, denn wer heute 60 oder älter ist, wurde in eine Zeit geboren, in der Homosexualität alles andere als normal war. Als unzüchtig und krankhaft galt alles, was zwischen zwei Männern oder Frauen über Freundschaft hinausging. Bis 1969 waren sexuelle Handlungen unter Männern laut Paragraf 175 des Strafgesetzbuches sogar strafbar, vollständig aufgehoben wurde das erst 1994. Umstände, die geprägt haben. Von jenen, die sich trotz allem schon damals mutig geoutet haben, konnten wohl nur die Wenigsten auf Verständnis von Eltern, Familie und Freunden hoffen.

So haben viele Homosexuelle ihre Gefühle und Träume seit Jahren mit sich herumgetragen, haben sie immer wieder verdrängt und für sich behalten. Stattdessen hat man eben das getan, was die Gesellschaft erwartete: Man heiratete, bekam Kinder, baute Häuser. Für viele mag das Scheinleben funktioniert haben oder auch noch immer funktionieren, andere haben sich ein Doppelleben aufgebaut, ihre Homosexualität in Affären oder geheimen Beziehungen ausgelebt. Doch so wirklich richtig hat sich das alles nie angefühlt. Und so beschließen immer mehr ältere Homosexuelle, endlich reinen Tisch zu machen und das zu leben, was sie eigentlich fühlen und sind. Die äußeren Bedingungen dafür scheinen heute besser zu sein denn je. In Sachen Gleichberechtigung hat sich in den letzten Jahren viel getan. Dank der »Ehe für alle« dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland seit Oktober 2017 auch heiraten.

Vorbehalte gibt es trotzdem noch: Homosexualität wird in vielen Köpfen immer noch eher geduldet als akzeptiert. Doch der Großteil der Gesellschaft ist offener und aufgeschlossener, schwul oder lesbisch sein ist längst kein Tabu mehr. Man könnte also meinen, das Thema sei vom Tisch. Das trifft auf die jüngeren Generationen und jene, die seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung kämpfen, auch sicher zu. Doch wer sich erst im Alter mit seinen Gefühlen auseinandersetzt und zu einem späten Outing entschließt, hat es trotz allen Fortschritts und aller Anerkennung erstmal schwer. Erst recht, wenn man all die Jahre zuvor mit Ehepartner und Kindern gelebt hat. Was also zunächst nach neuer Freiheit klingt, ist harte Arbeit und erfordert Mut. Da ist zum einen das Gefühl, das bisherige Leben als Lüge gelebt zu haben, zum anderen machen sich Ängste breit: vor Enttäuschung, Verletzung, Verlust. Viele Fragen tun sich auf: Wie sage ich es meinem Ehepartner? Wie reagieren meine Kinder und der Freundeskreis? Antworten, Hilfe und ein offenes Ohr finden ältere Schwule und Lesben in dieser Situation in speziellen Beratungsstellen. Und wer sich einmal zur Offenheit entschieden hat, sollte den Weg auch konsequent weitergehen und ehrlich sein, zu seinem Umfeld, aber vor allem zu sich selbst. Schließlich ist doch gerade im Alter die Zeit gekommen, die Maske fallen zu lassen und endlich das zu leben, was man ist. Dass es nie zu spät für eine andere Liebe ist, beweisen auch Waltraud Weisenbach und Waltraud Aichele. Sie wurden im November 2017 mit 69 und 65 Jahren als erstes gleichgeschlechtliches Paar im badenwürttembergischen Heiden-heim getraut. Glücklich strahlen sie in die Kamera. Beide waren in erster Ehe mit Männern verheiratet.

Adressen, Treffen und Events

gay-grey-muenster.de

Hier treffen sich homosexuelle ältere Männer aus Münster zu regelmäßigen offenen Abenden. Außerdem bieten die Organisatoren ein Programm mit Ausflügen, Besichtigungen und Städtetrips innerhalb Europas an.

komasoft.de/gayandgray

In Stuttgart trifft sich diese Gruppe zum Wandertreff, Spieleabend und regelmäßigem Stammtisch.

gay-and-gray.de

Ältere Lesben und Schwule aus Hamburg und Umgebung finden bei der Seniorenberatung kompetente Beratung und ein offenes Ohr.

goldengays-köln.de

Die Freizeitgruppe aus Köln veranstaltet einen Stammtisch, Kochnachmittage, Kaffee-kränzchen und Ausflüge.

Zum Weiterlesen

Es fühlt sich endlich richtig an!

Erfahrungen mit dem späten Coming-out von Helga Boschitz.

In ihrem Buch hat Helga Boschitz späte Coming-out-Geschichten von Menschen im Alter zwischen 36 und 86 Jahren versammelt. Die verschiedenen Lebensentwürfe zeigen, den einen richtigen Weg ins neue Leben gibt es nicht, wichtig ist nur, dass man den Schritt wagt. Mutig, persönlich und inspirierend!

»Es fühlt sich endlich richtig an!« von Helga Boschitz
Ch. Links Verlag
ISBN: 978-3-86153-596-6
16,00 Euro

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