Zuversicht, Freude, Kraft, Halt — der Glaube ist besonders für altere Menschen ein Anker im Alltag.
Übach-Palenberg an der holländischen Grenze, am 26. Juni 1926: Hausgeburt bei Familie Lehmkuhl. Kaum erblickt das Kind das Licht der Welt, steht auch schon der Pfarrer da und tauft es auf den Namen Elisabeth. Ein biblischer Name, der so viel bedeutet wie »Gott ist Vollkommenheit « und »Die Gott verehrt«. Das passt. Denn ohne ihn, davon ist die heute 85-Jährige überzeugt, hätte sie nicht all die Schicksalsschläge meistern können: Kinderlähmung, früher Tod der Mutter, schließlich ein Autounfall, bei dem sie nur knapp dem Tod entkommt.
»Damals sagten sie, ich hätte nicht einen, sondern gleich mehrere Schutzengel gehabt«,
erzählt die im Rollstuhl sitzende Frau. Bei der Erinnerung an dieses traumatische Erlebnis hält sie nur mit Mühe ihre Tränen zurück. Seit 2008 ist sie Bewohnerin des AWO Seniorenzentrums »Carolus« im nordrhein-westfälischen Übach-Palenberg. Dort besucht sie an jedem ersten Mittwochmorgen im Monat den evangelischen Gottesdienst. Wenn der Pfarrer die Einrichtung betritt, bekommt der Gemeinschaftsraum etwas Sakrales, so wie er geschmückt ist mit Blumen, Kerzen und einem weiß gedeckten Tisch als Altar.
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Alles soll möglichst so sein, wie es die Frauen und Männer von früher kennen. Dazu gehört eine kleine Kollekte als Zeichen, dass man sich auch als BewohnerIn eines Seniorenheims am Weltgeschehen beteiligt. »Außerdem darf das Abendmahl nicht fehlen«, ergänzt Thomas Reppich von der örtlichen Kirchengemeinde. »Es vermittelt eine besondere Form von Gemeinschaftserlebnis.« Wer daran nicht mehr teilnehmen kann, den besucht der Geistliche auf dem Zimmer, reicht Wein und Oblate und spricht das Vaterunser. Es gibt den Menschen das Gefühl, geliebt und wertgeschätzt zu werden – ungeachtet ihres Alters oder ihrer Krankheit.
Mit dem Erntedankfest am 2. Oktober hat die Zeit der christlichen Feste und Gedenktage nun wieder begonnen. Es folgen Allerheiligen, Allerseelen, Martinstag, Buß- und Bettag, Totensonntag, Mariä Empfängnis, schließlich die Höhepunkte Advent und Heiligabend. Obwohl nicht kirchlich gebunden, feiert die AWO diese Anlässe in ihren Seniorenzentren von Ostfriesland bis Oberbayern. Sie sind ein wichtiger Einschnitt im Alltag. Durch die festliche Dekoration, das Singen von Liedern, das Hören der vertrauten biblischen Worte und durch das Sprechen der Gebete können sich die BewohnerInnen ihres eigenen Lebens vergewissern, denn die meisten von ihnen wurden damit seit frühester Kindheit sozialisiert.
Auch Bruno Rösner ist tief verwurzelt in seiner Religion. Der Bewohner der AWO Seniorenresidenz »Alte Glaserei« in Neuwied wuchs in Danzig als Mitglied einer sehr frommen Familie mit fünf Geschwistern auf. Tischgebete sowie die sonntäglichen Kirchgänge galten als selbstverständlich. »In Deutschland war ich als katholischer Flüchtling, der nicht zur Hitlerjugend gehörte, ein Außenseiter« erzählt der 91-Jährige.
»Aber ich habe immer am Glauben festgehalten und bin selbst während meiner drei Soldatenjahre, die ich in Oslo stationiert war, regelmäßig in den Dom gegangen.«
Wie Elisabeth Lehmkuhl gab auch ihm der Glaube Halt in harten Zeiten. Nach Kriegs- und Hungerjahren folgte der Tod seiner Frau, die bei der Geburt des zweiten Kindes verblutete. Damals gab der junge Vater seinen Sohn in die Obhut von Klosterschwestern – bis er 1955 seine zweite Frau kennenlernte, eine stramme Protestantin. »Wir haben zwar evangelisch geheiratet, aber ich war, bin und bleibe Katholik.«
Im oberbayerischen AWO Seniorenzentrum Wolfratshausen sind die meisten Bewohner katholisch – und alle demenziell erkrankt. Zu ihren Ankern gehört der wöchentliche Gang zur Messe in der hauseigenen Kapelle. Ein vertrautes Ritual, das den Menschen hier Orientierung und Geborgenheit gibt. Einrichtungsleiter Dieter Käufer erzählt:
»Unsere Bewohner beherrschen noch die ältesten Kirchenlieder, und zwar bis zur letzten Strophe.
Um sie zu erreichen, sind Symbole wie das liturgische Gewand ganz wichtig. Bei uns sind auch ein Organist sowie Ministranten dabei.« Einmal im Monat kommt der evangelische Pfarrer Edzard Everts ins Haus. Anfangs wusste der 38-Jährige nicht viel über den Umgang mit der Alterskrankheit. Er holte sich Anregungen von seiner Kollegin Ulrike Schenemann, die einen Leitfaden für Andachtsfeiern mit Demenzkranken herausgegeben hat und den Begriff »Piccolo- Gottesdienst« prägte. Kurz soll dieser sein, die Sinne anregen, belebend und Spritzig.
Um die Emotionen, die alle noch da und abrufbar sind, »wachzurufen «, bringt Pfarrer Everts immer etwas mit, zum Beispiel eine Blume, ein flauschiges Tuch oder Wasser. »Beim Glauben geht es um Leben und Lebendigkeit – das sollen die Menschen in diesen dreißig Minuten auch spüren.«
»Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre.«
Dieser Psalm war der Trauspruch von Horst-Robert Mätzig. Er steht als Widmung im Gesangbuch, das ihm der Pfarrer damals zur Hochzeit überreichte. Seit 2008 lebt er im AWO Seniorenzentrum in der Hamburger Hagenbeckstraße. Sein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer schmücken viele Devotionalien, die sich im Laufe seines von Umzügen geprägten Lebens ansammelten. »Ich komme aus einem frommen Elternhaus, das mich sehr geformt hat«, so erzählt der gebürtige Bad Cannstädter. »Wenn ich traurig bin, lese ich in der Bibel – danach geht es mir besser.« Auch sein täglicher Spaziergang tut ihm gut, der vorbeiführt an der malerischen, russisch-orthodoxen Kirche. Der 78-Jährige, der einst als Chefeinkäufer im Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe arbeitete und Sinn für alles Schöne hat, liebt den Blick auf das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk mit seinen Kuppeln und Fresken. Auch als evangelischer Glaubensangehöriger spürt er in solchen Momenten die spirituelle Kraft. »Einmal habe ich dort eine traditionelle Hochzeit erlebt – das war eine sehr beeindruckende Zeremonie, sogar mit Friedenstauben«, erzählt Horst- Robert Mätzig. Er selbst ist lange geschieden – doch mit Gott pflegt er bis heute eine innige Beziehung.
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