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Die unsichtbare Krankheit – Chronisches Erschöpfungssyndrom

© iStockphoto - vitranc

Jede*r kennt es: Man überanstrengt sich beim Sport, bei der Arbeit, im Haushalt und ist am Ende des Tages total erschöpft. Die nötige Kur verspricht das Bett, und am Morgen geht es wieder erholt und mit neuer Energie weiter. Das hilft den meisten. Bei manchen ist es mit Schlaf allerdings nicht getan. Sie fühlen sich dauerhaft erschöpft, müde, kraftlos und krank.

Nicht einfach nur erschöpft

»Erschöpft bin ich auch oft«, diesen Satz hat Corinna K. (55) aus Singen am Bodensee schon zur Genüge gehört. Von Freund*innen, Verwandten und sogar von ihrer Postbotin. Doch Corinna ist nicht einfach nur erschöpft. Sie ist eine von rund 300.000 Menschen in Deutschland, die am sogenannten Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS/ME) leiden, einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung.

Dabei quälen sich Betroffene mit extremen und krankhaften Erschöfpungszuständen, die bereits nach geringer körperlicher und geistiger Aktivität einsetzen. Der Zustand ähnelt einer dauerhaften Grippe, die nicht abflacht.

Dazu treten weitere Symptome auf, wie etwa Konzentrationsschwäche, Kopf- und Gliederschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Magen-Darm-Beschwerden. Noch heute sind die Ursachen für CFS nicht eindeutig geklärt, obwohl es bereits seit 1969 bei der WHO als neurologische Erkrankung verzeichnet wird. Oft tritt CFS als plötzliche Folge einer Krankheit wie einem grippalen Infekt auf.

Mit einem »harmlosen« Virus hat es auch bei Corinna angefangen. Da die ehemalige Arzthelferin vom Fach ist, dachte sie damals: einfach auskurieren. Zunächst funktionierte das auch. Doch innerhalb weniger Monate wurde sie immer wieder krank. Das Gefühl, richtig gesund zu werden, blieb aus. Statt- dessen setzte ein Zustand andauernder Erschöpfung und Kraftlosigkeit ein.

Sobald es einigermaßen ging, versuchte sie wieder zu arbeiten. »Ich hatte ein schlechtes Gefühl, meine Arbeitskollegin so lange allein zu lassen«, berichtet Corinna. Im Mai 2018 kam dann der Zusammenbruch. Bei der Arbeit bekam sie Atemnot und war völlig kraftlos. Ihr Hausarzt schrieb sie krank. Es folgten Wochen, in denen sie auf verschiedene Sachen durchgecheckt wurde. »Die Ungewissheit war furchtbar.«

Zwischen Krebs, Depression und CFS

Erschöpfung (in der Medizin auch »Fatigue« genannt) ist ein Symptom vieler Krankheiten. So tritt es bei Tumorerkrankungen, Multipler Sklerose, Schilddrüsen-, Herz- und Lebererkrankungen, Diabetes u.a. auf. Auch psychische Erkrankungen gehen mit Erschöpfung einher. Um eine chronische Erschöpfung diagnostizieren zu können, müssen andere Krankheiten ausgeschlossen werden.

Aber auch dann ist es kein Garant, dass Ärzt*innen CFS erkennen oder anerkennen, da es noch keine eindeutigen Untersuchungen (z. B. Bluttests) gibt. Vielmehr geht es hier nach Ausschlussverfahren. »Ich hatte Glück, weil mein Hausarzt die Krankheit schon kannte und wusste, was mir guttut und was nicht. Andere Mediziner wie mein Neurologe oder Kardiologe haben die Krankheit nicht ernst genommen.«

Corinna ist mit ihrem Problem nicht allein. Viele Menschen, die an CFS erkrankt sind, haben eine Odyssee an Arztbesuchen hinter sich, werden weggeschickt, bekommen andere Diagnosen. Ihr Leiden wird verharmlost oder als psychische Erkrankung abgetan.

Sport ist Gift!

Falsche Diagnosen können dabei dramatische Folgen haben. Bei einer Depression verspricht Sport und Bewegung Besserung. Für Menschen mit Chronischem Erschöpfungssyndrom ist es hingegen wahres Gift. Überanstrengung führt dazu, dass die Symptome noch schlimmer werden und die Betroffenen mehrere Tage oder auch Wochen nichts mehr tun können.

Während bei Menschen mit Depressionen Antriebslosigkeit eine Begleiterscheinung ist, wünschen sich viele CFS-Betroffene, wieder aktiver sein zu können. Ihre Leistungsfähigkeit liegt im Vergleich zu ihrem gesunden Zustand bei 50 Prozent und weniger.

Mehr schlechte als gute Tage

Corinna war immer sportlich, liebte das Radfahren um den Bodensee, ging laufen und achtete auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Nun sind Ausflüge ein ständiges Abwägen. 30 Minuten langsames Spazieren und dafür ein oder zwei Tage ans Sofa gefesselt zu sein? An guten Tagen geht es besser, nur werden diese immer seltener.

Früher ging sie mit ihrem Mann eineinhalb Stunden pro Woche in den Tanzkurs. Heute sind es maximal 30 Minuten. Aber nur, wenn die Schrittfolge langsam ist. »Oft büße ich es dann. Aber das ist es mir wert!«, erklärt sie. Schon die kleinsten Aktivitäten zehren an ihren Kräften. An schlechten Tagen wird auch das Duschen zur Herausforderung. Jede kleine Bewegung strengt sie an.

Corinna hat eine dauerhaft erhöhte Körpertemperatur von 38 Grad. Ein Zeichen, dass ihr Immunsystem versucht, sich zu wehren. Seit letztem Jahr ist sie arbeitsunfähig, wie rund 60 Prozent der Betroffenen. »Ich fühle mich nutzlos und nicht gebraucht«, erklärt die Mutter von drei Kindern. »Es ist schwer, eine Krankheit zu haben, die von vielen belächelt oder nicht ernst genommen wird. Ich muss mich nach außen immer rechtfertigen. Aber ich sollte nicht in der Beweispflicht sein.«

Das Chronische Erschöpfungssyndrom gibt Wissenschaftler*innen noch immer Rätsel auf. Zwar wird geforscht, aber es fehlen die Gelder. Eine ernüchternde Realität für die Kranken. Trotzdem gibt Corinna die Hoffnung nicht auf. Sie und alle anderen müssen aus verbleibender Kraft einen doppelten Kampf führen: gegen die Krankheit und für ihre Anerkennung.

Was tun?

+  Hören Sie auf Ihren Körper

+  Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt bzw. Ihrer Hausärztin

+  Holen Sie sich Gewissheit und lassen Sie sich untersuchen

+  Ziehen Sie sich nicht zurück

+  Sprechen Sie offen über Ihre Beschwerde

+  Informieren Sie Familie, Freund*innen, Verwandte

+  Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus. Das Internet bietet eine Vielzahl an Foren

+  Geben Sie die Hoffnung nicht auf

Mehr Infos beim Fatigatio e. V. Bundesverband Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS/CFIDS/ME) unter www.fatigatio.de

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