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Langeweile? Von wegen!

Wer denkt, im Seniorenzentrum würde man außer essen, ruhen und Rätsel raten nicht viel mehr machen, irrt gewaltig. Das Freizeitangebot in den Häusern der AWO ist so vielseitig wie umfangreich.

Ob Turnen oder Töpfern, Literatur- oder Liederkreis, Ausflüge oder Feste – hier ist immer etwas los. Das AWO Journal hat BewohnerInnen aus Nordrhein-Westfalen und dem Rheinland bei ihren Aktivitäten durch die Woche begleitet.

Montag

Im »Coeln«-Saal des AWO Marie-Juchacz-Zentrums herrscht Tohuwabohu: Überall sind Schüler zu sehen, die sich angeregt mit Bewohnern unterhalten. Dabei machen sie sich Notizen.

»Lernen durch Engagement«, heißt das Projekt, an dem die Fünftklässler der Kölner Henry-Ford-Realschule teilnehmen und das sie heute zu den Senioren geführt hat. Es geht um den Austausch von Jung und Alt, wobei jede Gruppe eine andere Fragestellung bearbeitet. Die Mädchen aus der 5d wollen zum Beispiel wissen, wie sich das »City Center« im Laufe der Zeit verändert hat, und interviewen dazu Brigitte Stracks: »Was war an diesem Platz vorher? Haben Sie davon noch ein Foto? Finden Sie es blöd, dass es sonntags geschlossen ist?« Selin, Sevval, Duhah und Gizem erfahren, dass die 74-Jährige auch heute noch gern durch das Einkaufszentrum bummelt, obwohl die Geschäfte mittlerweile fast alle gewechselt haben. Schnell ist man im Gespräch beim gemeinsamen Lieblingsthema Kleider und unterhält sich über Farben, Stoffe und Handarbeit.

Beeindruckt sind die Elfjährigen, als Frau Stracks vom selbst genähten Hochzeitskleid ihrer Schwiegertochter erzählt – mit 36.000 Strasssteinchen! Die Gegenwart der Mädchen und Jungen mit ihrer unbefangenen, neugierigen Art tut den Senioren sichtlich gut. Auch sie bekommen an diesem Tag viel von der Enkel-Generation mit. So staunt Klara Bous, als sie hört, wie laut es heutzutage manchmal in den Klassenzimmern zugeht und dass die Lehrer deswegen schon mal den Raum verlassen.  »Wir mussten während des Unterrichts die Hände gefaltet auf dem Tisch liegen lassen«, erzählt die 92-Jährige. »Und wenn man störte, bekam man manchmal sogar mit dem Stöckchen Schläge auf die Hand.«

Um das Leben von damals geht es montagmittags auch im Alfred-Delp-Altenzentrum. Unter der Leitung von Herrn Schöpe trifft man sich zum »Verzällcher« im 4. Stock des Troisdorfer Hauses. »Das ist immer sehr lustig«, findet Pauline Wagner. »Wir reden in Platt und über alles Mögliche, zum Beispiel über die schöne Zeit, in der wir poussiert haben.« Ihre männlichen Mitbewohner unterhalten sich lieber über andere Dinge in der wöchentlichen »Männerrunde«. Außerdem können die Senioren an diesem Tag im hauseigenen Töpferraum mit Ton und Lehm kreativ sein oder bei der Bewegungstherapie die müden Glieder in Schwung bringen. »Wenn man alles mitmachen würde, was das Haus anbietet, hätte man richtigen Freizeitstress«, meint Helga Benning und lacht. Ihre Mitbewohnerin Gerda Wendt musste neulich eine aushäusige Verabredung absagen, »weil ich so ausgebucht war«.

Dienstag

Kaum sind die letzten Brotkrumen vom Frühstückstisch gekehrt, da hat Margarete Scherer aus dem AWO Haus »Vierwindenhöhe« in Bendorf schon die Stricknadeln zwischen den Fingern. Um 10.00 Uhr trifft sich die Handarbeitsgruppe unter der Leitung von Ulrike Beißwenger. Dass die Betreuerin wieder so viel Spaß an diesem Hobby hat, verdankt sie Frau Scherer, die ihr viel beigebracht hat. »Mein ganzes Leben lang habe ich gestrickt und gehäkelt – selbst während meiner Arbeit, denn ich war Krankenschwester mit vielen Nachtschichten«, erzählt die 91-Jährige, während sie in Windeseile aus einem Knäuel blauer Wolle einen Schal zaubert. »Auch im Krieg hörte ich nicht auf und machte aus dem Garn von Zuckersäcken zum Beispiel Söckchen.« Heute gehören ihre farbenfrohen Puppenkleider, Mützen, Topflappen und wunderschön gehäkelten Schmetterlinge zu den Verkaufsschla- gern auf den Basaren des Seniorenzentrums. Dort stehen heute noch Tanzen im Sitzen, Kegeln sowie ein Spielenachmittag auf dem Programm. Im 70 Kilometer entfernten Troisdorf trifft sich die »Rosenkranzgruppe« um 9.30 Uhr im kleinen Festsaal zum gemeinsamen Gebet. Alle anderen können entscheiden, ob sie beim Singkreis oder Kraft-Balance-Training mitmachen wollen. Pauline Wagner greift zu den Hanteln: Muskelaufbau sei gerade im Alter wichtig, so die Seniorin, die bis zu ihrem 80. Lebensjahr im Turnverein war und auch hier regelmäßig an den Bewegungskursen teilnimmt. Kaum zu glauben, dass sie im Dezember ihren 100. (!) Geburtstag feiert.

Mittwoch

Im Koblenzer Haus »Laubach« haben die Bewohner mittwochvormittags die Gelegenheit, die katholische Messe bzw. den evangelischen Gottesdienst zu besuchen. In Troisdorf beginnt der Tag mit »Malen & Gestalten«, in Bendorf mit dem gemeinsamen Vorlesen und Diskutieren der Rheinzeitung. Highlight ist allerdings der 14-tägig stattfindende Stammtisch »Gemiggel«, bei dem sich Bewohner und Besucher zu einem Gläschen Wein versammeln. Wir legen viel Wert auf Gemeinschaft. Es soll für jeden Geschmack etwas dabei sein«, sagt Iris Asholt, die u.  a. für die Freizeitgestaltung der rund 400 Senioren im Marie-Juchacz-Altenzentrum zuständig ist. »Unsere Angebote reichen vom Spielen mit der Wii bis zum Waffelbacken, von der Theaterveranstaltung bis zum Tanzkurs inklusive Abschlussball.« Sofie Dörich und Klaus Nussbaum genießen den Unterricht mit Cha-Cha-Cha, Rumba und Walzer. »Mein Wunsch wäre, dass ich bis zum Karneval richtig gut das Tanzbein schwingen kann«, verrät der 77-Jährige. Mittwochs wird traditionell zum »Musikalischen Nachmittag« geladen. Wie wichtig das Musizieren im Alter ist, wurde längst auch wissenschaftlich erwiesen: 20 Minuten Singen wirkt antidepressiv. Das tiefe Luftholen bringt mehr Sauerstoff in den Körper und aktiviert auf vielen Ebenen, wie man jetzt an den entspannten Gesichtern der Damen und Herren aus Chorweiler sieht, die zu alten Schlagern fröhlich schunkeln.

Donnerstag

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp klapp  … Beim Betreten des AWO Seniorenzentrums in Bergisch Gladbach kommt einem beim Anblick der alten Mühle vorm Haus sofort das Volkslied in den Sinn. Doch die Bewohner haben sich an diesem warmen Sommermorgen nicht zum Singen, sondern zur Gymnastik im Freien versammelt.

»Richten Sie sich gerade auf und nehmen Sie den Ball in die rechte Hand«, weist die Reha-Übungsleiterin Gabi Pötter die im Kreis sitzenden Bewohner an. »Dann rollen Sie ihn mit der linken Hand Richtung Schulter und wieder zurück.« Konzentration und Koordination sind in den nächsten 45 Minuten gefragt. Wer die schult, schützt sich vor Stürzen und bleibt länger mobil und aktiv. Neben großen und kleinen Bällen kommen auch bunte Tücher zum Einsatz, Soft-Würfel für Gedächtnisspiele und Löffel, mit denen sich die Teilnehmer einen Gegenstand weiterreichen müssen. »Wenn man nicht regelmäßig etwas für den Körper tut, rostet er ein«, weiß Karl Breuer, der jeden Morgen um den Weiher läuft und mit 50 das letzte Mal sein Sportabzeichen absolviert hat. Die 80-jährige Irma Dax kann sich einen Start in den Donnerstag nicht mehr ohne Gymnastik vorstellen. Und Hannelore Rüttgen fühlt sich danach viel energiegeladener.

»Hier kriegt man keine Langeweile«, sagt die 84-Jährige, die sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig viel bewegt. »Zu meinen liebsten Programmpunkten gehört die Zeitungsrunde, in der wir über die Artikel aus dem Bergischen Handelsblatt oder Kölner Stadtanzeiger diskutieren.«

Freitag

»Bingo«, heißt es im Koblenzer AWO Haus »Laubach«. Um 15.00 Uhr drehen die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Ursula Schunk und Marlies Wiederstein die mit Zahlen versehenen Holzkugeln durch die Trommel. Wer als erstes alle Zahlen auf seiner Spielkarte komplett hat, gewinnt – und kann sich aus einem Korb ein kleines Geschenk aussuchen. Diese Art von Lotterie erfreut sich unter den Bewohnern aller Häuser äußerster Beliebtheit. Man sitzt beieinander und kann dabei noch wunderbar plaudern. Trotzdem ist das nicht jedermanns Sache. »Ich fühle mich bei Bingo nicht gefordert«, sagt Herbert Ehlinger, während er die Schachfiguren unterm Sonnenschirm aufstellt. Damit auch der 72-Jährige nicht zu kurz kommt, bemühte sich die AWO um einen Spielpartner und fand ihn in Günter Moors. Der ehemalige Kommissar ist Mitglied im örtlichen Schachclub und kommt nun jeden Freitagmittag für drei, vier Partien vorbei. Und wie sieht der Wochenausklang in den anderen Seniorenzentren aus? In Köln steht eine Modenschau auf dem Programm; in Troisdorf erst Schuhverkauf, später dann ein gemütliches Beisammensein im Nachtcafé; und in Bendorf, da triff sich heute die Backgruppe.

Wochenende

Wie überall geht es auch in den Häusern der AWO samstags und sonntags etwas ruhiger zu. An diesen Tagen kommen die Verwandten zu Besuch, es wird zu Kaffee und Kuchen geladen, zum Früh- oder Dämmerschoppen. Auch Gottesdienste, gemeinsame Spaziergänge, Film- und Grillnachmittage stehen vielerorts auf dem Plan. Nur eines gibt es hier nicht: Langeweile und Einsamkeit.

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