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Lebensspuren 6/10: Gisela Fischer, 81, aus dem AWO Seniorenzentrum Josefstift in Fürstenfeldbruck

Gisela Fischer, 81, wohnt im AWO Seniorenzentrum Josefstift in Fürstenfeldbruck

Was prägt uns, gibt uns Halt und Orientierung? Welche Ereignisse, Menschen und Momente bleiben unvergesslich? Zehn Bewohnerinnen und Bewohner aus AWO Seniorenheimen erzählen von ihren Erfahrungen – begleitet von Weisheiten, die zur jeweiligen Biografie passen und die sich wie ein roter Faden durch ihr Leben ziehen.

Gisela Fischer, 81, wohnt im AWO Seniorenzentrum Josefstift in FürstenfeldbruckGisela Fischer, 81, wohnt im AWO Seniorenzentrum Josefstift in Fürstenfeldbruck:

»Mit elf wurde ich von den Russen aus der schlesischen Heimat vertrieben. Eine beschwerliche Flucht, zu Fuß, nachts in Scheunen auf Stroh gebettet. Später konnten wir uns den Lazarettzügen des Roten Kreuzes anschließen, doch die Russen schossen trotzdem drauflos. Wir haben uns unter die Waggons gelegt – das vergesse ich nie. Eigentlich sollte es dann nach Dresden gehen, aber die Stadt war mit Flüchtlingen überfüllt. Also brachte man uns weiter entfernt unter. Dennoch erlebten wir den großen Fliegerangriff am 13. Februar 1945; Menschen sprangen brennend in die Elbe, um das Feuer an ihrem Körper zu löschen. Selbst im Luftschutzkeller haben die Wände gebebt. Wir wurden auf verschiedene Familien verteilt, bis uns im Mai tschechische Soldaten befahlen, zurück in die Heimatländer zu gehen. Also machten wir uns wieder auf nach Breslau, ein weiterer Fußmarsch von über einem Vierteljahr. Als wir dort ankamen, war die Siedlung Niemandsland – ein einziges Geschäft war übriggeblieben. Russische Soldaten gaben uns von ihren Tagesrationen Brot. Sie waren sehr lieb zu mir und meiner jüngeren Schwester. Damals habe ich nicht gewusst, dass sich meine Mutter immer vor ihnen versteckte, weil sie Angst vor Vergewaltigungen hatte. Es hat sie sehr geprägt, denn ich durfte später nie alleine mit einem Mann ins Kino, selbst nicht, als ich schon verlobt war. 1952 ging es nach Fürstenfeldbruck, wo mein Vater übers Rote Kreuz Verbindungen hatte. Dort lernte ich meinen späteren Mann kennen. Er war Lehrer und hat mir viel beigebracht – schließlich fehlten mir vier Grundschuljahre. Bis heute habe ich deshalb Hemmungen und denke, dass ich nicht genug weiß. Aber ich versuche, mich immer weiterzubilden und habe sogar noch 2007 freiwillig den Seniorenführerschein absolviert. Auch den Umgang mit dem iPad habe ich mir von meinem Sohn erklären lassen. Der Wille, Neues entdecken zu wollen, hat mich zum Glück nie verlassen«

 

»WENN ES EINEN GLAUBEN GIBT, DER BERGE VERSETZEN KANN, SO IST ES DER GLAUBE AN DIE EIGENE KRAFT.«
MARIE VON EBNER-ESCHENBACH (österreichische Schriftstellerin, 1830-1916)

 

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