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Lieblingsthema Essen – Hochgenuss am Niederrhein

© COMMWORK, Eric Langerbeins

Das Essen ist Gesprächsthema Nummer eins in den Seniorenzentren und trägt erheblich zum Wohlbefinden der Bewohner*innen bei. Zu Besuch im Speisesaal der nordrhein-westfälischen AWO Einrichtung Willy-Könen. 

Günter Gerlach ist ein kritischer Geist. Bevor der 72-Jährige vor einigen Wochen nach Neukirchen-Vluyn ins Willy-Könen-Seniorenzentrum der AWO einzog, hat er dort zunächst zur Probe gewohnt. Er wollte sich ein genaues Bild von seinem zukünftigen Zuhause machen. Weiter selbstbestimmt leben zu können, das ist dem gelernten Kaufmann das Wichtigste. Dazu gehört, morgens nicht um sieben Uhr aus dem Bett geworfen zu werden, um kurz darauf am Frühstückstisch sitzen zu müssen. Seit seiner Bundeswehrzeit verabscheut Günter Gerlach Kommandos und strikte Zeiten. „Ich hatte meine Bedenken, aber hier geht es ganz entspannt zu“, so der gebürtige Hesse.

Bis zehn Uhr kann man frühstücken und wer mittags einen Termin hat, bekommt auch später noch sein Menü.

Geschmackshüter: Rund 500 Essen bereitet Hans-Dieter Montenbruck, der für zwei AWO Einrichtungen als Küchenchef tätig ist, mit seinem Team täglich zu. © COMMWORK, Eric Langerbeins

Ein großer Wohlfühlfaktor ist das tägliche Mittagsessen. Es wird nicht – wie in immer mehr Alteneinrichtungen üblich – von einem Anbieter für Großküchen angeliefert, sondern stets frisch im Haus zubereitet. Küchenchef Hans-Dieter Montenbruck und sein 11-köpfiges Team sorgen dafür, dass es den Senior*innen kulinarisch an nichts fehlt. Vom ersten Kaffee bis zum Schlummertrunk, von der Vorsuppe bis zum Nachtisch wird hier alles liebevoll hergestellt. „Essen spielt in einer Senioreneinrichtung eine sehr große Rolle“, weiß Herr Montenbruck. „Es bestimmt den Tag – und kann ihn verhageln, wenn’s schlecht ist.“ Mit matschig-fadem Krankenhausessen wie anno dazumal hat die Qualität von heute so viel zu tun wie ein Sterne-Restaurant mit einem Fast-Food-Lokal. „Hier wird die Küche wertgeschätzt – von den Bewohner*innen genauso wie von der Geschäftsleitung“, sagt der gelernte Koch und Konditor.

Ein Blick auf die Menükarte lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen: Zur Wahl stehen zum Beispiel „Hefeknödel mit Pflaumenmusfüllung und warmer Vanillesauce“ und „Hühnerfrikassee mit Champignons zu Butterreis“. Oder „Cordon Bleu mit Blumenkohl in Rahmsoße“ und als Alternative „Ofenfrischer Gemüsestrudel mit Kräutersauce“. Es gibt immer zwei Menüs, wovon eines vegetarisch ist. „Die Bewohner*innen sind heutzutage ernährungsbewusster“, weiß Hans-Dieter Montenbruck, der seit 27 Jahren bei der AWO hinterm Herd steht. Früher wäre Bauchfleisch-Schnitzel mit ordentlichem Fettrand und dicken Bohnen mal ein Highlight gewesen. Inzwischen werde das Gericht nicht mehr oft aufgetischt, komme in kleineren Portionen und magerer daher. „Die Tellermitte hat sich verändert“, so der Küchenchef. „Fleisch spielt eine im wahrsten Sinne des Wortes Randerscheinung. Wir geben inzwischen Portionsgrößen von 80 Gramm aus, die Hälfte von dem, was einst üblich war.“ Damals gab es allerdings auch viele Bewohner, die noch auf der Zeche gearbeitet haben und deftig-kräftige Speisen gewohnt waren. Geblieben ist der obligatorische Sonntagsbraten, hinzugekommen ein tägliches Salatbuffet.

Dienstags und freitags gibt’s Fisch, Samstag traditionell Suppe. Besonders beliebt sind Spezialitäten aus der Region wie Schnippelsuppe mit Bohnen oder Stampes mit Sauerkraut und Speck. Das schmeckt vertraut und weckt das Gefühl von Heimat.

Immer wieder stecken Bewohnerinnen dem Küchenchef ein Rezept zu. Schließlich waren die meisten einmal Top-Hausfrauen, die schon als Kinder in der Küche anpacken mussten und später selbst eine mehrköpfige Familie zu versorgen hatten. Herr Montenbruck hat es quasi mit einem Fachpublikum zu tun. Damit er auch wirklich den Geschmack der 92 Frauen und Männer trifft, hat er die sogenannte „Speisenplanbesprechung“ eingeführt. Jeden zweiten Dienstag im Monat trifft er sich mit interessierten Senior*innen im Speisesaal und geht mit ihnen die Menükarte für die nächsten zwei Wochen durch. So wie an diesem Nachmittag.

Was auf den Teller kommt, wird im Team besprochen: der Küchenchef mit der Bewohnerin Erika Brinkmann (li.) und dem Bewohner Günter Gerlach. © COMMWORK, Eric Langerbeins

Eine Handvoll Bewohner*innen hat sich um den Tisch gruppiert und schaut auf die Blätter mit den einzelnen Gerichten, die der Küchenchef zuvor verteilt hat. „Es ist gut, dass wir bei etwas mitreden können, was uns wichtig ist“, findet Erika Brinkmann, die seit vier Jahren im Willy-Könen-Seniorenzentrum zu Hause ist. Der Mutter von drei Kindern schmeckt es hier, auch wenn sie sich wegen ihrer Diabetes-Erkrankung einschränken und zum Beispiel auf Süßes weitgehend verzichten muss. Wenn also –wie in den nächsten 14 Tagen– Gerichte à la „Vanillemilchreis mit warmen Schattenmorellen“ oder „Hausgemachte Blaubeerpfannkuchen“ vorgesehen sind, entscheidet sie sich für die Alternative. Hellhörig wird die 73-Jährige, als ihre Mitbewohnerin Helge Johann ein Arme-Ritter-Rezept aus einer Illustrierten zeigt. Das Besondere: Es ist eine herzhafte Version mit Gouda statt mit Zimt-Zucker. „Das nehme ich gerne in unser Repertoire auf“, sagt Hans-Dieter Montenbruck und wendet sich an Günter Gerlach, der erstmals mit am Tisch sitzt. „Willkommen bei uns“, begrüßt er den Neubewohner. „Gibt es etwas, das Sie besonders gerne essen?“ – „Ich mag alles mit Fisch“, antwortet Herr Gerlach. „Das kommt aus meiner Zeit in Schweden, wo ich ein paar Jahre gelebt habe.“ – „Dort war ich gerade im Urlaub und habe jeden Tag geangelt“, erzählt der Küchenchef sichtlich erfreut. „Da können Sie sich schon mal auf den gebackenen Seelachs mit Kartoffelsalat und Remouladensauce freuen, den wir am Freitag servieren.“ Dann liest er die für jeden Tag geplanten Gerichten vor und notiert sich Anmerkungen der Senior*innen. Fast alles wird abgenickt. Vorschläge gibt es vor allem für das Abendessen, das in erster Linie aus Aufschnitt mit Wurst und Käse besteht und an drei Tagen in der Woche durch Beilagen ergänzt wird.  Auf der Wunschliste stehen Frikadellen, Geflügelsalat und Mandarinenquark. „Es ist zwar eher etwas für den Winter, aber ich hätte gerne mal wieder Speckfett“, sagt eine Dame, worauf eine andere fröhlich ruft: „Griebenschmalz auf Zwiebel-Brot macht Wangen rot!“. Allgemeines Gelächter. Bevor sich die Runde auflöst, wird noch über das Buffet-Motto gesprochen, das sich die Bewohner*innen für das nächste Fest überlegt haben: „50er Jahre“. Fleischsalat, Toast Hawaii, Käse-Igel und Milchshake lassen grüßen.

„Essen soll Spaß machen“, sagt Hans-Dieter Montenbruck.

Gut gelaunt: Küchenhilfe Katja Trenamann (li.) und Hauswirtschafterin Tanja Josten. © COMMWORK, Eric Langerbeins

Das ist allerdings in einer Senioreneinrichtung leichter gesagt als getan. Die Hormone sind dafür verantwortlich, dass es im Alter zu einem veränderten Appetitgefühl kommt. Man ist schneller satt. Gerüche und Geschmäcker werden weniger intensiv wahrgenommen. Auch Probleme mit den Zähnen und das nachlassende Sehvermögen beeinträchtigen die Nahrungsaufnahme. Ebenso verringert sich das Durstempfinden. Oft ist es auch die Sorge vor häufigen Toilettengängen, die das Trinken einschränken. Umso wichtiger ist es, zu jeder Mahlzeit Getränke bereit zu stellen. So wie im Willy-Könen-Haus, wo sich jede*r am Dispenser bedienen kann. Farbliche Kontraste auf dem Teller, Kräuter und Gewürze und vor allem Porzellangeschirr auf einem schön gedeckten Tisch können das Vergnügen am Essen steigern. Das Auge isst bekanntlich mit. Gerade bei einer Demenz spielt die Präsentation eine wichtige Rolle. „Bevor wir auftischen, zeigen wir den Bewohner*innen immer zwei Teller mit den beiden Gerichten“, sagt Melanie Grünheid, die im Wohnbereich für dementiell veränderte Menschen als Betreuungskraft arbeitet. „Das sinnliche Erleben, das Visuelle und der Duft machen Lust aufs Essen.“

Wie gut, dass nun der Herbst da ist mit seinem Füllhorn an Obst- und Gemüsesorten. Birnen, Pflaumen, Rote Beete, Grüne Bohnen, Maroni, Wirsing, Kürbis … diese Jahreszeit ist so farbenfroh, vielseitig und gesund wie keine. In diesem Sinne: Guten Appetit allerseits!

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