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Minimalismus-Trend

Wir leben im Überfluss, haben von allem viel zu viel. Die Werbung sagt uns täglich, was wir noch alles brauchen und kaufen müssen. Dabei kommen die wichtigen Dinge oft zu kurz, und wir verlieren den Blick für das Wesentliche. Denn unser Zeug kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit.

Aber damit ist jetzt Schluss, plötzlich wird überall aufgeräumt. In der Buchhandlung stapeln sich die Ordnungs-Ratgeber, im Internet wird man mit Tipps zum Ausmisten überschüttet, in Zeitschriften finden wir Anleitungen zum Sortieren und Wegschmeißen. Minimalismus heißt die Bewegung, bei der man sich nur noch auf das Wichtigste konzentriert, das heißt weniger Konsum, weniger Besitz, weniger Stress.

Ein Trend, der im Internet fast schon zum Wettkampf ausgeartet ist. Während sich die meisten nur schweren Herzens von alten Büchern, Schuhen, Töpfen, Tellern und Vasen treggen können, leben die Extrem-Minimalisten mit nur noch insgesamt 100 Teilen, Socken und Unterhosen mit eingerechnet. Lebensberater Joachim Klöckner treibt das Ganze auf die Spitze: der 68-Jährige besitzt noch 50 Dinge, sein gesamtes Hab und Gut passt in einen Rucksack, die Räume seiner Wohnung sind leer, er schläft in einer Hängematte, quer durch sein Zimmer gespannt. Manch einer mag das originell finden, ein anderer vielleicht verrückt.

Doch beim Minimalismus geht es nicht darum, sich selbst oder anderen zu beweisen, mit wie wenig man eigentlich leben kann. Es geht nicht um Verzicht oder Einschränkung, sondern vielmehr um bewussten Konsum und Ordnung. Es geht nicht darum, das Inventar eines Einfamilienhauses auf einen Schuhkarton zu reduzieren, auch nicht darum, Lieblingsstücke auf den Sperrmüll zu verbannen. Es geht darum, kritisch zu hinterfragen: Was ist mir wichtig? Was brauche ich eigentlich, um glücklich und zufrieden zu sein?

Wer sich diese Fragen gestellt und dann auch ehrlich beantwortet hat, wird sich mit dem Aufräumen leichter tun als jemand, der den Entschluss, endlich zu entrümpeln, nicht ganz freiwillig gefasst hat. Oft ist nämlich ein Umzug in eine kleinere Wohnung oder ein Seniorenzentrum Anlass für große Aufräumaktionen. Harte Arbeit, denn all das, was sich im Laufe eines ganzen Lebens in Kisten, Kartons, Schränken und auf dem staubigen Dachboden angesammelt hat, kann man nicht an einem regnerischen Sonntagnachmittag ausmisten.

Bevor man aber jedes einzelne Teil noch zehnmal in die Hand nimmt, es dreht und wendet und partout nicht entscheiden kann, ob es gehen oder bleiben soll, stellt man sich beim Aufräumen am besten ganz einfache Fragen: Wann habe ich das Teil zuletzt benutzt? Und habe ich es in der letzten Zeit vermisst? Die Ordnungs-Gurus raten: Alles, was länger als ein halbes Jahr unbenutzt im Schrank lag, kann weg. Fotoalben, der erste Liebesbrief und die Uhr vom Großvater natürlich ausgenommen. Den Gedanken: »Ich kann das sicher irgendwann noch mal gebrauchen«, sollte man dabei allerdings schleunigst mit entsorgen. Denn irgendwann kommt sehr wahrscheinlich nie.

Sind die ersten Teile im Müllsack gelandet, macht sich Erleichterung breit. Plötzlich fällt es gar nicht mehr so schwer, den Dingen Lebewohl zu sagen. Man fühlt sich befreit und erkennt, wie viel unnötigen Ballast man all die Jahre mit sich herumgetragen hat. Und wie viele Gedanken wir an all den Kram verschwendet haben. Beinahe automatisch fängt man an, auch andere Bereiche des Lebens unter die Lupe zu nehmen und (schlechte) Rituale, Gewohnheiten und Freundschaften zu entrümpeln.

Für manchen sind die ungewohnte Freiheit und die Leere im Regal anfangs schwer auszuhalten. Denn Aufräumen heißt auch: loslassen. An vielen Dingen hängen Erinnerungen, gute und weniger gute. Während sich also die Regale lichten, räumt man gleichzeitig auch mit der Vergangenheit auf und schließt alte Kapitel ab. Belohnt wird man am Ende mit dem guten Gefühl, weder ein emotionales noch ein materielles Chaos zu hinterlassen.

Deshalb sollte Vorsorge fürs Alter doch viel eher bedeuten, rechtzeitig klar Schiff zu machen, statt Geld und Krempel anzuhäufen. Und eigentlich wissen wir ja auch längst, dass ein volles Bücherregal, überquellende Kleiderschränke und ein buntes Sortiment an Weingläsern nicht glücklich machen. Und wir uns lieber auf das Wichtige konzentrieren sollten: eine Familie, Freunde, die zuhören, und Dinge, die Spaß machen. Für all das braucht man Zeit, aber die haben wir ja jetzt im Überfluss.


Schenken ohne Konsum

Warum die zehnte Krawatte und das vierte Stück Seife verschenken, wenn wir auch gemeinsame Zeit verschenken können? Auf der Website Zeit statt Zeug findet man jede Menge Inspiration für Aktivitäten mit Freunden oder Familie, etwa »Nackenmassage statt Schal« oder »Waldluft statt Parfüm«. Experten geben außerdem wertvolle Tipps für bewussteren Konsum, und erschreckende Zahlen zeigen, wie viel Geld wir für Dinge ausgeben und wie viel davon ungenutzt bleibt.


Recyclen statt Wegwerfen

Wohin mit dem aussortierten Zeug? Was noch funktionstüchtig und brauchbar ist, nehmen karitative Einrichtungen wie Kleiderkammern oder Sozialkaufhäuser gerne an. Sperrige Dinge wie etwa Möbel werden zum Teil sogar kostenfrei zu Hause abgeholt.

Buchtipps zum Thema von der AWO Journal Redaktion:

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