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Senioren am Steuer

Mobilität bedeutet Unabhängigkeit. Und darauf wollen die meisten Menschen nicht verzichten, auch im Alter nicht. Um die Fahrpraxis zu verbessern und Grenzen auszuloten, bieten Verkehrsclubs Fahrsicherheitstrainings speziell für Senioren an – für die Teilnehmer ein lehrreiches und spannendes Erlebnis.

Fahrtraining
© Eric Langerbeins/COMMWORK Werbeagentur GmbH

Gebt ordentlich Gas!«, ruft der Trainer durch sein Walkie-Talkie. Er schaut zu den Fahrzeugen, die etwa 200 Meter weiter am Eingang des Übungsplatzes in Boksee bei Kiel stehen. »Eure Autos werden jubeln, dass sie mal ordentlich gefordert sind!« Sein Daumen geht nach oben, und schon kommt ihm der dunkle Nissan mit hohem Tempo entgegen. Doch dann geht die Frau hinterm Steuer vom Gas – viel zu früh. Ihr Pkw gleitet in Zeitlupe an dem orange-weißen Markierungshütchen vorbei. »Wir wollen kein kontrolliertes Anhalten, sondern ein abruptes«, erinnert Übungsleiter Bernd Neumann. »Versuch es gleich noch mal, Gisela, und stopp bei 100 Prozent Geschwindigkeit.« Er duzt die Teilnehmer in Funker-Manier, obwohl die deutlich älter sind als er und längst in Rente.

»Die Ansgt vor dem Verlust des Führerscheins hängt wie ein Damoklesschwert über den älteren Menschen«.

Vier Frauen und drei Männer haben sich bei der morgendlichen Vorstellungsrunde eingefunden. Ein bisschen Theorie, dann geht’s gleich auf die Strecke. Nach einigen Übungen zum Warmwerden lautet das Thema »Vollbremsung«. Dabei tun sich die Frauen sichtlich schwerer als die Männer, denen aus alten Tagen der Bleifuß vertrauter ist. »Ich war früher mehr auf der linken als auf der rechten Spur und bin immer dicht aufgefahren«, gibt Dr. Karl Schröder zu. Solch draufgängerisches Verhalten ist jedoch längst passé. Heute will der pensionierte Hausarzt wissen, wo seine Grenzen sind, was er sich noch zutrauen kann. Und das geht am besten unter Beobachtung eines Profis.

Was beinhaltet das Fahrsicherheitstrining?

© Eric Langerbeins/COMMWORK Werbeagentur GmbH
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Das Fahrsicherheitstraining ist ein fünfstündiges Auffrischungsprogramm, bei dem es um Neuerungen der Straßenverkehrsordnung und um die persönliche Fahrtechnik geht. Geübt werden die korrekte Lenkrad-Haltung, der Umgang mit Techniken wie dem Antiblockiersystem (ABS) und dem Elektronischen Stabilitäts-Programm (ESP), aber auch das Kurvenfahren und Bremsen bei wechselnder Geschwindigkeit. »Der Charme daran ist die Freiwilligkeit – so ganz ohne Risiko für den Führerschein«, sagt Neumanns Kollege Jens Pfeiffer, der zweite Trainer auf dem Übungsplatz. »Noch besteht bei uns keine Pflicht zum Gesundheitscheck für Autofahrer ab 70, wie in vielen anderen europäischen Ländern. Trotzdem hängt die Angst vor dem Verlust des ›Lappens‹ wie ein Damoklesschwert über den älteren Menschen.« Dabei beweist die Statistik, dass sie keine größere Gefahr auf der Straße sind als die Jüngeren. »Im Gegenteil. Sie sind besonnener und fahren bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter erst gar nicht los«, sagt der Experte. Nur fühlen sie sich nun zunehmend unsicher. Die Leichtigkeit hinterm Lenkrad geht irgendwann verloren.

Die Kräfte lassen nach, das Hören und Sehen verschlechtern sich. Und auch das Gedächtnis und die körperliche Beweglichkeit sind nicht mehr so gut wie früher. Man hat Schwierigkeiten beim Rangieren oder bei Fahrbahnverengungen. Außerdem liegt die Zeit der Führerscheinprüfung lange zurück – bei Dr. Karl Schröder gar siebzig Jahre. 2013 hat er sein Auto der Enkelin überlassen, fühlte sich aber schnell unselbstständig und meldete sich zum Carsharing an. »Einmal die Woche fahre ich mit dem ›Stattauto‹ zum Grab meiner Frau, zur Krankengymnastik oder erledige Einkäufe.« Sehr zeitgemäß für einen 87-Jährigen. Doch ist es nicht fahrlässig, so hochbetagt mit dem Pkw unterwegs zu sein?

»Das Alter allein ist kein Grund, sich nicht mehr hinters Steuer zu setzen«, wendet Fahrtrainer Jens Pfeiffer ein.

© Eric Langerbeins/COMMWORK Werbeagentur GmbH
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Selbst nach einem Schlaganfall könne man mobil bleiben. Denn was viele nicht wissen: Fahrzeug-Umbauten gleichen gewisse Handicaps aus. Auf dem Außengelände stehen inzwischen wieder alle Autos in der Kolonne. Jetzt heißt es: Reaktionsvermögen und Orientierung zeigen. Während der Fahrt schießen plötzlich Fontänen an unterschiedlichen Stellen in die Höhe und die Teilnehmer müssen in Sekundenschnelle die Lücken erfassen und hindurchfahren. »Genießt die Bokseer Wasserspiele«, ruft Bernd Neumann lachend. Mit seiner lockeren Art sorgt er dafür, dass für die älteren Herrschaften bei aller Konzentration auch der Spaß nicht zu kurz kommt. Schließlich sind viele auf Anraten ihrer Angehörigen und nicht aus eigenen Stücken zum Trainung erschienen. Motiviert und wissbegierig sind sie dennoch: Heike Gaekel erwartet zum Beispiel Einpark-Tipps, Ulrike Czyrnia erhofft Beratung für das optimale Fahren und Sitzen im Auto.

Karin Meyn, Besitzerin eines Kosmetikstudios und stets auf der Überholspur, will endlich die hochmoderne Technik ihres Cabriolets verstehen. Das hat sie – nachdem ihr Mann mit 88 Jahren nicht mehr fahren will – alleine in der Hand. Und Gisela Teske, die bereits mehrere kleine Crashs erlebt hat und nun in Begleitung ihrer Tochter gekommen ist, wünscht sich wieder mehr Selbstvertrauen. »Wir wohnen auf dem Dorf, da sind öffentliche Verkehrsmittel leider keine Option«, sagt die 80-Jährige. Das Training neigt sich dem Ende zu. Etwas erschöpft, aber zufrieden nehmen die Senioren ihre Urkunde entgegen. Selbst wenn nicht jedes Problem gelöst wurde, so sind sie doch ein Stückchen schlauer, sicherer, vielleicht sogar kenntnisreicher als ihre Enkel. Dr. Karl Schröder jedenfalls fühlt sich nun fit genug für seine »Lebenserinnerungsfahrt«, die er demnächst antreten möchte: nach Hannover, wo er als Assistenzarzt begann, ins hessische Gelnhausen zu den Wurzeln seiner Frau, weiter nach Süden zur Schwester und zur Tochter mit dem Ziel München, wo er einst studierte. Wir wünschen ihm und allen anderen gute und sichere Fahrt!


Infos : Fahrsicherheitstrainings für die Generation 60plus werden in Deutschland von diversen Veranstaltern angeboten, darunter von der Verkehrswacht (www.deutsche-verkehrswacht.de) und vom ADAC (www.adac.de). Kosten für ein 5-stündiges Training mit 6-8 Teilnehmern liegen bei ca. 85 Euro (für Nichtmitglieder ca. 95 Euro). Daneben gibt es verschiedene Beratungs- und Schulungsmodelle, Gesprächskreise, freiwillige Gesundheitschecks sowie Extrastunden mit dem eigenen Auto, bei denen der Coach nach der Fahrt Verbesserungstipps gibt.

 

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