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Starke Frauen

Margarete Krannich

Sie kommen in der Weimarer Republik zur Welt, erfahren Nazi-Deutschland, Krieg, Hunger, Verlust, Vergewaltigung und Vertreibung. Während Ihre Väter, Männer und Brüder, wenn nicht gefallen, in Gefangenschaft sind, ernähren die »Trümmerfrauen« ihre Kinder und bauen die Heimat wieder auf.

Die Bewohnerinnen der AWO Seniorenzentren gehören zu den letzten Zeitzeugen dieser so bewegenden deutschen Epoche. Respekt vor einer Frauengeneration, die alles verlor – und sich ins Leben zurückkämpfte.

Margarete Krannich schrieb ihre Biografie.

Nachts kamen die Erinnerungen und raubten ihr den Schlaf. Immer öfter, immer intensiver. Da beschloss Margarete Krannich, die Vergangenheit mit Worten einzufangen. Sie setzte sich an ihren Sekretär und begann zu schreiben. Zwei Jahre lang, am liebsten, wenn es draußen dunkel und drinnen ruhig war im baden-württembergischen AWO Seniorenzentrum Hardtwald, so dass sie ganz in ihre Welt eintauchen konnte. Und die sieht zunächst sehr rosig aus: Die kleine Maggy verbringt eine behütete Kindheit in Schlesien – ohne Geschwister, aber mit Personal. Jedes Jahr geht es vier, fünf Wochen lang zur Sommerfrische ins Seebad Stolpemünde, umgeben von kilometerlangen Sandstränden und Kiefernwäldern. Zehn Jahre lang wiederholt sich diese Idylle, bis der Vater 1934 nach Berlin versetzt wird. Auch dort führt die kleine Familie zunächst eine sorgenfreie Zeit. Sie wohnt im vornehmen Zehlendorf und macht Sonntagsausflüge an den Wannsee. »Doch weil mein Vater sich strikt weigerte, in die NSDAP einzutreten, verlor er seinen Posten bei der Steinbruch-Berufsgenossenschaft und wurde nach Hannover versetzt«, erinnert sich die heute 85-Jährige, die, zum Verdruss des Vaters, als »Jungmädel« in den BDM eintreten musste. »Das war Pflicht. Aber mir gefiel die Kameradschaft: Wir machten Sport und Spiele, sangen viele Lieder, über deren politischen Sinn wir wenig nachdachten.«

Als der Krieg am 1. September 1939 verkündet wird, hält sich die 15-jährige Margarete gerade mit einigen Jugendlichen im Schwimmbad auf:

»Wir bejubelten diese Entscheidung!«, schrieb sie später in ihrer Biografie, »Völlig ohne Vorstellungen, was uns erwartete und wie viel Leid uns die nächsten Jahre bringen würden.«

Es ist das Ende der Leichtigkeit des Seins. Wörter wie Kriegsdienst, Tieffliegerangriff, Splittergraben und Luftschutzkeller gehören ab sofort zum Vokabular der Schülerin, die 1945 eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester anfängt. Auf Seite 12 ihrer Lebensgeschichte ist zu lesen: »Tagsüber mussten wir die Babys in großen Körben in den nahegelegenen Bunker bringen. Zwischendurch fuhr ich oft mit dem Rad durch Hannover, um Muttermilch für die kranken Kinder einzusammeln. Wir bekamen manchmal Adressen von stillenden Müttern, die noch Milch abgeben konnten. Die Kinder wurden abends wie kleine Pakete verschnürt und auf Doppelstockbetten im Keller nebeneinander hingelegt.« Es sind solche persönlichen Szenen und Erlebnisse, die ein Stück deutsche Historie spürbar werden lassen.

Frauen, die jetzt 75 plus sind, haben so viel Schicksal geschultert, wie kaum eine Generation vor und schon gar keine nach ihnen. Ihre Kindheit und Jugend waren geprägt von Verlust und Krieg, und in der Blüte ihres Lebens mussten sie schuften, um – oft alleine – die Familie über Wasser zu halten.

Jüngst war im Stern das »Porträt einer starken Frau« zu lesen. Sie sei stolz, schön und verstünde es zu plaudern. Außerdem hätte sie lange mit Tarifgehalt ihren kleinen Sohn alleine großgezogen. Die Rede war von Bettina Wulff. Ohne ihre Leistung in Abrede stellen zu wollen, aber: »Stark« ist stärker als »tough«, wie heutzutage resolute Frauen gerne bezeichnet werden. Stark waren die »Trümmerfrauen«, die mit eiserner Disziplin und ungeahnter Ausdauer aus dem Nichts Deutschland wieder aufbauten.

Martha Hänßel in jungen Jahren.

Stark ist auch, wenn sich eine Frau wie Martha Hänßel, die im baden-württembergischen AWO Seniorenzentrum Hanauerland wohnt, zu ihrer Begeisterung für Hitler bekennt – und jetzt sagt:

»Ich war zu jung und zu dumm – hinterher hat es mir leid getan.«

Es hat lange gedauert, bis die heute 89-Jährige merkte, dass sie »in die Anschauung der SA reindressiert wurde.« Mit 17 meldete sie sich freiwillig zum Militär, trug stolz die Uniform – bis sie einen Schiffskapitän von der Schweizer Reederei kennenlernte. Sie heirateten 1942. Als ihr Mann 1956 plötzlich starb, war Martha gerade 34 und hatte zwei kleine Söhne.

Martha Hänßel war mit 34 Jahren Witwe und musste ihre beiden Kinder ernähren.

Etwa zur gleichen Zeit stand auch Elfriede Pohlei ohne Partner da – ebenfalls mit zwei Kindern. Ihr Mann hatte sie Knall auf Fall wegen einer anderen verlassen. Er verschwand so plötzlich aus ihrem Leben, wie einst der geliebte Bruder. Die Erinnerungen an jenen Tag im August 1945 sind so klar, als wäre es gestern gewesen.

»Ich kam aus dem Büro nach Hause. Als meine Mutter die Tür öffnete, dachte ich, sie hätte den Verstand verloren«, erzählt die 87-Jährige aus dem Pfälzer AWO Seniorenhaus Jockgrim, und man spürt förmlich den Schmerz, den sie damals empfand. »Sie hatte kurz zuvor erfahren, dass mein Bruder an einer Schusswunde im Graben verblutet ist – ab da war sie nicht mehr ansprechbar«.

Drei Jahre später nahm sich die Mutter das Leben.

Elfriede Missbach

Zeit für Trauer blieb sowenig wie für Träume. Gefühle waren Luxus, den man sich nicht leisten durfte. Es hieß: durchhalten, weitermachen, sich nicht unterkriegen lassen!

Wer wie Elfriede Missbach aus dem Mainzer AWO Haus »Jockel Fuchs« im brennenden Dresden gefangen war und in letzter Sekunde dem Tod von der Klinge springen konnte, der lernt Demut im Crashkurs. Genau 26 Tage nach ihrer Hochzeit in der Frauenkirche stürzte Dresdens schwer beschädigtes Wahrzeichen am 15. Februar 1945 ein und wurde damit zum Symbol der Zerstörung.

Rosa Metz

Stein um Stein bauten überwiegend Frauen wieder ihre Dörfer und Städte auf. »In Jockgrim gab es damals gerade mal drei Männer«, erinnert sich Rosa Metz. Der vierte, den sie sah, wurde ihr Mann. Er hatte Frau und Haus bei einem Bombenangriff verloren und bat die Bauern um Nahrung für seine fünf Kinder. »Meine Mutter gab ihnen Milch und Butterbrote. Ab da besuchten sie uns jeden Tag«, erzählt die 86-Jährige und lächelt bei dem Gedanken an ihren Georg, der anfangs so abgemagert war, dass er sich erst nach einem Jahr traute, ihr den Hof zu machen. Danach ging es umso schneller: Das Paar bekam sechs gemeinsame Kinder. Rosa Metz weiß noch genau, wie entsetzt sie war, als ihr Mann zwei Äcker verkaufte, um einen Steinway-Flügel zu finanzieren. Doch heute ist sie stolz, dass alle elf Kinder ein Instrument beherrschen.

In der Nachkriegszeit musste jeder Pfennig ein Dutzend Mal umgedreht werden. Besonders für Margarete Krannich, die ja aus wohlsituierten Verhältnissen stammte, war diese Einschränkung schlimm, wie sie sich in ihrer 218 Seiten langen Biografie eingesteht.

»Eine Zeitlang wohnten mein Mann und ich mit zwei Kindern in einem Zimmer – unerträglich!«

Die räumliche Enge spiegelte die gesellschaftliche wider: Die starken Frauen mussten sich mit ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau zufriedengeben, während ihre zurückgekehrten Männer oftmals mit autoritärem Stil als Patriarch auftraten.

»Ich war immer das Puttchen«, sagt Frau Krannich. »Erst nach und nach lernte ich, mich zu emanzipieren.«

Gegen die Widerstände ihres Mannes suchte sie sich schließlich 1971 einen Job und kaufte vom selbstverdienten Geld einen Wohnwagen. Der stand fortan auf einem Campingplatz in der Pfalz und bedeutete knapp vier Quadratmeter Freiheit.

Elvira Kohm

Um Freiheit ging es auch im inzwischen 78-jährigen Leben von Elvira Kohm aus dem AWO Seniorenhaus Burgfeld in Speyer. 1960 musste ihr Mann, der für die BASF als Eisenflechter tätig war, berufsbedingt nach Dresden – doch erst 30 Jahre später sollte Frau Kohm zurückkehren. Denn 1961 wurde die Mauer gebaut und die vierköpfige Familie blieb fern der Heimat. »Das Leben in der DDR war eine Gratwanderung«, erzählt Elvira Kohm mit Pfälzer Dialekt, der trotz Ost-Assimilierung unüberhörbar ist. »Auf der einen Seite war ich die Westdeutsche, die mit schönen Paketen versorgt wurde, auf der anderen war ich Vorsitzende des deutschen Frauenbundes.« In dieser Funktion organisierte sie den »Tag der Frau«, der jedes Jahr weltweit am 8. März stattfindet. Ins Leben gerufen hat ihn übrigens 1910 die deutsche Feministin und Sozialistin Clara Zetkin, nach der auch einige AWO Seniorenhäuser benannt sind.

Bessere Bedingungen für Frauen in unserer Gesellschaft zu schaffen, das war von jeher das Anliegen von Elfriede Minas. Die Bewohnerin des AWO Hauses »Jockel Fuchs« gehörte 1977 zu den Mitbegründerinnen des ersten Frauenhauses in Flensburg.

»Wir kämpften gegen die Gewalt von Männern und den Paragraphen 218 – dieses Engagement war wichtig und gab uns Stärke«, so die 92-Jährige, deren Vorbild die drei Jahre ältere Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich ist, die einst mit ihrem Mann das Sigmund-Freud-Institut gründete.

Und was hält Elfriede Minas von den heutigen Frauen? »Viele wissen ihre Freiheit nicht zu schätzen.« Aber tauschen, da sind sich alle befragten Bewohnerinnen der AWO Seniorenheime einig, wollten sie nicht mit den jungen.

Elfriede Minas

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