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Teens zur Arbeit im Seniorenzentrum

Frischer Wind: Jugendliche in den AWO Häusern
Zwischen Altenpflege  Azubis und Bewohnern von Seniorenzentren liegen Generationen. Warum ergreifen junge Leute diesen Beruf,  welche Vor  und Nachteile hat er, und wie beeinflusst er die  Persönlichkeit? Nils, Nadine, Diana und andere Auszubildende der  AWO erzählen, warum es ihnen Spass macht,  die wichtigste Rolle im Leben anderer zu spielen.

Drei Generationen Altersabstand – eine Wellenlänge: Nils Rüter mit Gerda Wollau

Nils trägt eine Baseballmütze, die obligatorisch tiefsitzende Jeans, Turnschuhe und einen übergroßen Ring am linken Ohr, so einen, wie man ihn von Bildern der Urvölker kennt, und der gerade modern ist. Sieht man den 1,95 Meter großen Schlaks, fällt es leicht sich vorzustellen, wie er mit dem Skateboard losbrettert oder aufs Schlagzeug trommelt. Aber Nils Rüter ist nicht auf dem Weg zur Bandprobe, sondern ins Gladbecker Elisabeth-Brune-Seniorenzentrum der AWO, wo er seit Oktober eine Ausbildung zum Altenpfleger macht. Vor drei Jahren, da war er 14, ist seine Oma zum Pflegefall geworden. Jeden Sonntag hat Nils sie im Altenheim besucht und lernte auf diese Weise den Umgang mit demenziell Erkrankten. Trotzdem dauerte es, bis er keine Berührungsängste mehr hatte. Inzwischen überwiegt das positive Gefühl, etwas Gutes für andere zu tun. »Meine Erfahrungen haben mich viel selbstbewusster gemacht«, sagt der 17-Jährige, der bei seinem Berufswunsch von Familie und Freunden sehr unterstützt wurde – nicht selbstverständlich, zumal männliche Altenpfleger noch immer deutlich in der Minderheit sind. Ihr Anteil liegt seit Jahren konstant unter 20 Prozent. »Zu meiner Klasse gehören 22 Schülerinnen, und außer mir gibt es nur noch zwei Männer, die deutlich älter sind.« Genau siebzig Jahre liegen zwischen Nils und der Bewohnerin Gerda Wollau, die sich sichtlich wohl in seiner Gegenwart fühlt.

»Nils ist mein Freund«, sagt sie, und schaut dabei vom Rollstuhl auf ihn hoch. »Ich mag seine freundliche, hilfsbereite Art … ach, einfach alles an ihm.« Auch Mitbewohnerin Lydia Kallabusch freut sich über die Jugend im Haus.

Lydia Kallabusch mit Sebastian Fuchs

Neben Nils machen derzeit noch Isil und Sebastian hier eine Ausbildung. »Sebastian finde ich toll – er sieht die Arbeit«, so die 89-Jährige, und erzählt: »Neulich war mein Bett nicht bezogen, was mich sehr störte. Da war Sebastian gleich zur Stelle und machte es ruck, zuck fertig.« So etwas könnte sich Sebastians Zwillingsbruder, der Elektriker werden will, nie vorstellen. »Er unterschätzt diesen Job«, so der 18-jährige Sebastian.

»Dabei ist gerade die Vielfalt interessant. Ich mache alles: von der morgendlichen Medikamentenvorbereitung bis zur Pflegedokumentation. Und dazwischen beschäftige und unterhalte ich mich mit den Senioren.«

Außerdem verdient Sebastian nicht weniger als sein Bruder. Was viele nicht wissen: Der Lohn reicht zwischen dem 1. und 3. Ausbildungsjahr von rund 820 bis knapp 1.000 Euro und liegt damit um einiges höher als in vielen anderen Lehrberufen, wie z. B. Augenoptiker, Automobilkaufmann, Hotelfachfrau oder Steuer- fachangestellte. Trotzdem sind in der Altenpflege nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit derzeit 14.000 Stellen unbesetzt. Rund eine halbe Million Vollzeit-Pflegekräfte könnten laut einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge im Jahr 2030 fehlen. Grund genug für die AWO, kräftig die Werbetrommel für diesen zukunftsorientierten Beruf zu rühren.

Um auch tatsächlich die junge Zielgruppe zu erreichen, haben die Bezirksverbände der bayerischen AWO für 2013 eine große Ausbildungskampagne unter dem Slogan »Die wichtigste Rolle spielt man im Leben  anderer« gestartet. Die jungen Leute werden als »Helden des Alltags« dargestellt – so wird die Wertschätzung dieses Berufes betont. Besonders glaubwürdig sind dabei die Hauptdarsteller, die alle »echte« AWO Azubis sind. Die Ansprache ist so, wie Teens es gewohnt sind bzw. erwarten: lässig, aber nicht anbiedernd, mit Witz, aber auch mit Fakten. Und vor allem werden sie dort angesprochen, wo sie sich aufhalten: an Schulen, im örtlichen Kino und natürlich im Internet. Auf der Website »awo-ausbildung.de« erfährt man alles rund um den Job als Altenpflegefachkraft. Interessierte Jugendliche können sich bei einem AWO Seniorenzentrum ihrer Wahl direkt bewerben.

Hier der Trailer zu der AWO Ausbildungskampagne

Wilhelm Wier mit Isil Özdemir

Die 17-jährige Isil Özdemir musste nicht erst von diesem Beruf überzeugt werden. Sie wusste schon früh: Altenpflegerin ist ihr Ding. Nach einem Jahrespraktikum und vier Wochen als Altenpflegehelferin gehört Isil nun zu den neuen Azubis im Elisabeth-Brune-Haus, wo sie mit ihrem charmant-fröhlichen Auftreten die Herzen der BewohnerInnen erobert. Als Tochter türkischer Eltern strahlt die Schwarzhaarige mit den dunkelbraunen Augen förmlich die Wärme der Ägäis aus. In ihrem Kulturkreis ist es nicht üblich, die ältere Generation außer Haus zu pflegen.

»Meine Eltern kümmerten sich um meinen krebskranken Opa, und genauso werde ich es später für sie tun – dafür fühle ich mich verantwortlich«

sagt die junge Frau, die sich gut vorstellen kann, eines Tages Wohnbereichsleiterin zu werden. Mit ihrer Begeisterung für den Beruf hat sie schon zwei Freundinnen angesteckt, die nun auch eine Ausbildung machen. Natürlich handelt es sich um einen harten, anspruchsvollen Job – psychisch wie physisch. Andererseits gibt es kaum einen Beruf, der auch Hauptschulabgängern so viele Entfaltungswege offen hält. Je nach gewünschter Richtung reicht die Bandbreite der Karrieremöglichkeiten von der Fachkraft für Gerontopsychiatrie bis zur Stationsleitung, vom Pflegemanager bis zum Fachwirt im Gesundheitswesen. Die meisten Auszubildenden sind zudem positiv überrascht, wie viel medizinisches Knowhow sie erlernen und welche Weiterbildungsmaßnahmen – wie etwa Wundmanagement – es in diesem Bereich gibt.

Diana Paul mit Ingeborg Koppciok

Die 19-jährige Diana Paul aus dem AWO Feierabendhaus in Bad Salzuflen wollte beispielsweise mehr über Palliativpflege erfahren. Doch wie kommen junge Menschen wie sie damit zurecht, so unmittelbar mit dem Thema Tod konfrontiert zu sein? »Es sind sehr intensive Momente«, sagt sie und erzählt, wie sie einen Bewohner drei Wochen lang beim Sterben begleitet hat: »Der Mann war ein Genießer, er trank gerne Wein. Da ihm das Schlucken schwer fiel, überlegten wir im Team, wie wir dieses Geschmackserlebnis noch einmal ermöglichen können. Wir benetzten dann seine Lippen mit einer in Wein getränkten Kompresse.« Nie wird Diana vergessen, wie er nach wochenlangen Qualen schließlich zufrieden einschlief.

Nadine Sirp

Ihre Kommilitonin Nadine Sirp kann sich sogar vorstellen, nach der Ausbildung in einem Hospiz zu arbeiten. Sie wusste schon nach ihrem ersten Praktikum mit 15, dass Altenpflege das Richtige für sie ist.

»Menschen auf ihrem letzten Drittel zu begleiten ist etwas sehr Sinnvolles.«

Wenig Verständnis haben ihre Freunde und Bekannten aus dem Boxclub, wo Nadine regelmäßig trainiert und ebenso regelmäßig gefragt wird: »Na, wie viele Hinterteile hast du heute schon geputzt?« Doch die Antworten der 18-Jährigen sind so treffsicher wie ihre Schläge im Ring: »Hauptsache, ich muss deinen nicht putzen!« Selbst ihre Mutter tut die Tätigkeit der Tochter als Larifari ab, stöhnt aber selbst über den anstrengenden Alltag als Kassiererin. Ganz anders Dianas Mutter, die so angetan war von den Erzählungen, dass sie jetzt – mit 47 Jahren – als Pflegehelferin im Seniorenheim angefangen hat.

Im Ausbildungsreport »Pflegeberufe 2012« der Gewerkschaft Verdi gaben gut 60 Prozent der Befragten an, mit ihrer Ausbildung zufrieden oder sehr zufrieden zu sein – trotz der Überstunden, die durch den großen Fachkräftemangel gang und gäbe sind. Als Nachteil empfinden Teenager die Früh- und Spätschichten sowie den Einsatz an Wochenenden und Feiertagen. »Einige haben deshalb sogar schon die Ausbildung abgebrochen«, erzählt Sonja Rodschinka, die das AWO Feierabendhaus leitet. »Leider mangelt es jedoch den 17- bis 19-Jährigen heutzutage etwas an Alltagsdisziplin.«

Welche Voraussetzung sind ihrer Meinung nach besonders wichtig für den Beruf des Altenpflegers? »Souveränes Auftreten. Und bei Beschwerden von Angehörigen oder auch im Umgang mit den alten, teils verwirrten Bewohnern heißt es: Ruhe bewahren. Außerdem sollten die Kandidaten einigermaßen strukturiert sein und zwischen der sachlichen Pflegedokumentation und der emotionalen Beziehungsarbeit hin- und herspringen können.« Sie sei immer wieder überrascht, wie sich die jungen Frauen und Männer im Laufe der Ausbildung verändern: »Plötzlich werden aus oft schlechten Schülern zielstrebige, ehrgeizige, selbstbewusste Personen mit großem Verantwortungsgefühl.« Auch ihre Auszubildende Nadine Sirp findet, dass der Job ihren Charakter gestärkt habe.

»Ich achte viel mehr als früher auf mein Umfeld, mache den Mund auf und helfe, wenn ich mitbekomme, dass Schwächere angegriffen werden.«

Vassilios Chatzis mit Bewohner Gerhard Heidrich

Diejenigen, die sich für Altenpflege interessieren, können erst einmal über den Bundesfreiwilligendienst in den Beruf hineinschnuppern, bevor sie sich für eine Ausbildung entscheiden. Das machen derzeit auch Kevin Blischke und Vassilios Chatzis. Die beiden »Buftis« sind für ein Jahr im Bielefelder AWO Seniorenzentrum Baumheide beschäftigt. Nie hätte der langhaarige Kevin, der in seiner Freizeit E-Gitarre spielt, gedacht, dass ihm das Zusammensein mit den Senioren so viel Freude bereitet. »Nach der Schule wollte ich einfach mal was anderes machen«, sagt der 20-Jährige und ist erstaunt, »was für ein Leben hier in der Bude ist mit all den vielen Veranstaltungen.« Der ein Jahr jüngere Vassilios hat Gefallen am Kochen gefunden und hilft in der Bewohnerküche aus.

»Ich bin so erzogen worden, überall mit anzupacken – das ist für mich selbstverständlich«, sagt der Sohn griechischer Eltern.

Manchmal hilft er sogar noch seiner Mutter, die neben ihrem Job in der Universitätsküche putzen geht.

Wer mit diesen jungen Männern und Frauen spricht, schaut zuversichtlich auf die nachwachsende Generation. Eine Generation, die – anders als jüngst vom FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher in seinem Buch »Ego« angeprangert – sich offensichtlich nicht nur dem eigenen Vorteil verpflichtet fühlt.

Patricia Schröter

Ein weiteres Beispiel einer jungen Person, die das Allgemeinwohl im Blickfeld hat, ist Patricia Schröter, Auszubildende im baden-württembergischen AWO Seniorenzentrum Emilienpark: »Ich will Altenpflegerin werden, weil es einfach zu wenige Menschen gibt, die sich um Pflegefälle kümmern«, so die 20-Jährige. Was ihr persönlich an dieser Tätigkeit gefällt?

»Man darf so sein, wie man ist, kann echte Gespräche führen, muss nichts verkaufen und sich auch nicht verstellen.«

Außerdem schätzt Patricia, dass sie keinerlei Restriktionen bezüglich ihres Outfits bekommt. Sie muss weder auf Piercings verzichten noch auf Tätowierungen und ihre teils rot gefärbten Haare. »Visual k«, nennt man diesen aus Japan stammenden Look, der immer wieder zu neugierigen Fragen vonseiten der Bewohner führt. Die junge Frau erzählt dann, dass sie sich gern so zeigt, wie sie sich innerlich fühlt, und dass sie von ihrem Gehalt für die nächste Japan-Reise spart. Schön fand die 20-Jährige, wie sie nach ihrem letzten Urlaub von den Senioren empfangen wurde. »Die haben mir gezeigt, wie sehr sie sich auf mich freuen.« Sicherlich, weil die Bewohner merken, dass junge Leute wie Patricia, Nils oder Nadine ehrlichen Spaß daran haben, »die wichtigste Rolle im Leben anderer zu spielen.«

Info

Auf der Website »awo-ausbildung.de« erfährt man alles rund um den Job als Altenpflegefachkraft. Interessierte Jugendliche können sich bei einem AWO Seniorenzentrum ihrer Wahl direkt bewerben.

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