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Was im Alter mit dem Gehirn passiert und wie man das Gedächtnis gezielt trainieren kann

© Jesse Orrico, Unsplash
© Jesse Orrico, Unsplash

Dr. Lehrl ist Diplom-Psychologe, Intelligenzforscher und Präsident der Gesellschaft für Gehirntraining e. V. (GfG). Im Interview erklärt er, was im Alter mit dem Gehirn passiert und wie man das Gedächtnis gezielt trainieren kann.

Dr. Siegfried Lehrl (73)
Dr. Siegfried Lehrl (73)

Was passiert mit dem Gehirn im Alter?

In den meisten Fällen wird es kleiner und leichter und verliert an Nervenverbindungen.

Kann man bis ans Lebensende Neues lernen?

Ja, bei den meisten Menschen verringert sich allerdings die Menge an Neuem. Das Gehirn verändert sich dabei. Es baut sich ständig um.

Ab welchem Alter nimmt die Gedächtnisleistung ab?

Das ist sehr individuell. Bei Personen, die in ihrem Leben fast alles routinemäßig erledigen, nimmt die geistige Leistungsfähigkeit einschließlich Gedächtnisvermögen ab. Je höher die geistigen Herausforderungen im Beruf und Alltag sind, desto später kommt der Leistungsabfall. Bei der Mehrheit der Personen, die sich ständig geistig fordern, beginnt er erst ab etwa vier Jahren vor dem natürlichen Tod.

Wie kann man den Alterungsprozess des Gehirns aufhalten?

Durch psychische und körperliche Maßnahmen. Lassen Sie sich geistig anregen und durch anspruchsvolle Herausforderungen oder künstliche Übungen fordern. Auch körperlich lässt sich viel tun: Um große Hirngebiete vor dem Abbau zu schützen, helfen während der Hirnarbeit etwa begleitende Bewegungen wie Schreib- oder Kaubewegungen. Und vergessen Sie nicht, das Gehirn nach einer Beanspruchung zu schonen, damit es neue Energie tanken kann.

Was wirkt sich positiv auf die Gedächtnisleistung aus?

Eine Offenheit gegenüber Neuem, Neugierde für andere Menschen und fremde Sachverhalte. Auch fordernde Hobbys und soziale Kontakte wirken sich positiv auf das Gedächtnis aus. Auf der körperlichen Seite spielen eine ausgewogene Ernährung und Ruhepausen oder sogar ein Kurzschlaf zum Speichern von Gedächtnisinhalten eine große Rolle.

Was wirkt sich dagegen negativ aus?

Ein Mangel an Interessen und ständiges unruhiges Aktivsein. Wer wenig schläft, viel Stress hat und dem Körper nicht ausreichend Sauerstoff und Flüssigkeit zuführt, schadet dem Gedächtnis ebenfalls.

Welchen Einfluss haben lange Krankheit oder ein Krankenhausaufenthalt?

Wer nur noch eingeschränkt mobil oder sogar bettlägerig ist, muss mit einer Abnahme der Intelligenz- und Gedächtnisleistung rechnen. Dazu kommen die ungewohnte Einteilung von Essens- und Schlafenszeiten und die Abgabe von Verantwortung. All das senkt den IQ im Durchschnitt pro Tag um einen Punkt.

Was passiert beim Umzug in ein Seniorenzentrum?

Zu Beginn findet eine Steigerung der Gedächtnisleistung statt: neue Umgebung, neue Menschen, andere Tageseinteilung. Sobald man damit vertraut ist, kommt es auf den Tagesablauf an. Finden viele Anregungen statt? Sind Möglichkeiten zur Mitgestaltung gegeben? Übernimmt man Verantwortung? Gibt es gar Programme zum Training der Kopfleistungen? Das alles würde die Gedächtnisleistungen fördern.

Was kann man gegen die nachlassende Gedächtnisleistung tun?

Von zentraler Bedeutung ist, sich geistig fit zu halten. Für Erwachsene ist typisch, dass sie Neues in ihre bisherigen Kenntnisse integrieren. Das gelingt umso besser, je schneller sie Informationen verarbeiten und je mehr sie gleichzeitig in ihren Kopf bekommen. Für Personen, die intelligent lernen und damit viel Wissen aufbauen wollen, gilt es also, ihren Arbeitsspeicher mit geistigen und körperlichen Maßnahmen zu fördern. (siehe Gedächtnisübungen für den Alltag) Viele Senioren sind online aktiv, nutzen Smartphone und Tablet.

Welche Apps können Sie für das Gedächtnistraining empfehlen?

Was für eine Person gut ist, muss es noch lange nicht für die andere sein. Die Wirksamkeit von Übungen hängt vom allgemeinen Leistungsniveau und der aktuellen Verfassung einer Person ab. Die Senioren sollten selbst testen, was für sie geeignet ist. Wichtig ist, dass sie ihr Gedächtnis durch die Geschwindigkeit oder die Komplexität der Aufgaben fordern. Wenn man nach wenigen Minuten ganz in der Beschäftigung mit den Aufgaben aufgeht und das Zeitgefühl verliert, dann tut man das Richtige.

Wie viel Training ist pro Tag mindestens erforderlich?

Mindestens 20 bis 30 Minuten bei vollem geistigen Einsatz. Zwei bis vier Male am Tag könnte aber auf Dauer noch wirksamer sein.

Kann Gedächtnistraining vor Alzheimer und Demenz schützen?

Die Beschäftigung mit Neuem und Gedächtnistrainings, die nicht auf stumpfsinnigem Auswendiglernen beruhen, senken das Risiko, an einer Alzheimerdemenz oder einer gefäßbedingten Demenz (Hirnverkalkung) zu erkranken.

Wie halten Sie sich selbst geistig fit?

Ich halte mich an die Regeln des sogenannten Brain-Tunings. Das heißt, ich tue drei bis vier Male am Tag etwas geistig Herausforderndes für mich. Ich starte meist mit kleinen mental aktivierenden Aufgaben. Wenn ich mich dann fitter fühle, gehe ich zur eigentlichen Tätigkeit über: Ich verfasse etwa einen Artikel für eine Fachzeitschrift, schreibe einen Brief an ein Amt oder organisiere ein Treffen mit mehreren Personen. Nach einer guten Stunde wende ich mich geistig wenig fordernden Aufgaben des Alltags zu, etwa Garten- und Hausarbeit, ein Tratsch mit der Familie, oder ich entspanne gemütlich auf einem Sessel. Außerdem trinke ich circa 2,5 Liter pro Tag, esse Gemüse und Obst, laufe Treppen auf und ab und versuche mindestens sieben Stunden zu schlafen.

Sind Sie mit Ihrem Gedächtnis zufrieden?

Ich dürfte geistig etwa so fit sein wie ein junger Erwachsener. Mein Gedächtnis, in dem jetzt weit mehr als vor einigen Jahrzehnten steckt, funktioniert sehr zufriedenstellend. Mich erschreckt es auch nicht, wenn sich Erinnerungen an lang Zurückliegendes nicht so rasch und sicher einstellen wie die Gedächtnisinhalte, mit denen ich mich noch kürzlich befasst habe. Erinnerungen an Namen wie den kleinen Urlaubsort vor 18 Jahren brauchen nun mal ein paar Sekunden, manchmal auch eine ganze Nacht, bis sie wieder im Bewusstsein sind.

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