… müssen die Kinder plötzlich für Vater oder Mutter Verantwortung übernehmen. Viele scheuen die Auseinandersetzung — aus Angst. Unsicherheit und schlechtem Gewissen. Doch ein offener Umgang mit dem Thema tut allen gut: Den Eltern genauso wie den Angehörigen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
»Ihr wollt mich doch nur abschieben.« Das ist der wohl am häufigsten gesagte, auf jeden Fall gedachte Satz, wenn es darum geht, Vater oder Mutter im Seniorenheim anzumelden. Auch Ingrid Novacki bekam ihn zu hören. Dabei war genau das Gegenteil der Fall: Die Neuwiederin machte sich große Sorgen um ihre in Duisburg lebende Mutter, die nach dem Tod des Ehemanns auf sich allein gestellt war. »Ich wollte sie in unserer Nähe haben, zumal mein Mann und ich ja auch nicht mehr die Jüngsten sind und ständig die 150 Kilometer lange Fahrt auf uns nehmen können«, so die 70-Jährige.
»Aber damals war ich nicht in der Lage, das Thema meiner Mutter zu vermitteln, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, sie loswerden zu wollen.« Magarete van Arkel, die in zweiter Ehe mit einem Holländer verheiratet war, konnte sich ein Leben in einer Kleinstadt ohne ihren Freundeskreis lange nicht vorstellen. Erst als immer mehr Bekannte hilfsbedürftig wurden und sie die zweite Lungenembolie erlitt, sah die 92-Jährige Handlungsbedarf. Sie schaute sich mit Tochter Ingrid mehrere Einrichtungen an und zog 2005 schließlich nach Neuwied in die »Alte Glaserei«.
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Die AWO Seniorenresidenz für Betreutes Wohnen ist ganz nach dem Geschmack der rüstigen Dame: Sie bietet so viel Freiraum wie möglich und gerade so viel Hilfe wie nötig. »Anfangs war ich sehr geplagt vom Gedanken, eine so betagte Frau noch zu verpflanzen«, erzählt Ingrid Novacki.
»Ich musste mich ständig bremsen, um ihr nicht alles abzunehmen, denn je mehr ich machte, desto unselbstständiger wurde Mama.«
Inzwischen haben die beiden ein gutes Miteinander gefunden: Ingrid Novaki kommt regelmäßig zu Besuch, doch sie hat noch genug Energie für die eigene Familie und das geliebte Wanderhobby. Umgekehrt genießt ihre Mutter die in der »Alten Glaserei« angebotenen Freizeitaktivitäten, wie Handarbeit und Gymnastik.
Wenn Eltern alt werden, beginnt in den meisten Familien eine Zeit der Unsicherheit und Unruhe. Die lebenslang eingespielten Rollen wollen nicht mehr zu den handelnden Personen passen. Wie soll man mit seinem Vater umgehen, der stets stolz war auf sein Elefantengedächtnis, aber jetzt sogar die Namen seiner Kinder vergisst? Was sagt man seiner auf Sauberkeit bedachten Mutter, wenn das Geschirr auf der Sonntagstafel wie benutzt aussieht und es in der Wohnung plötzlich müffelt? Nur zu gerne schauen wir weg, schieben die deutlichen Altersanzeichen auf den schlechten Tag, den jeder mal haben kann, oder auf den Wetterumschwung, der uns schließlich allen zu schaffen macht. Selbst nach einem Treppensturz oder bei einer beginnenden Demenz verharmlosen wir noch die Situation. Gerti Höhlein, Einrichtungsleiterin für Betreutes Wohnen in Neuwied weiß:
»Für die Kinder ist dieser Zustand sehr belastend. Oft leben sie weit weg, müssen auf einmal viel hin- und herfahren, Finanzen klären, eine Altengerechte Unterkunft suchen. Dazu kommen oft das schlechte Gewissen und vielleicht existentielle Ängste«
Wenn die Angehörigen zu ihr kommen, tut die Einrichtungsleiterin das, was viele bis dahin vehement vermieden haben: offen über alles reden. »Ich gehe die Dinge direkt an: von der Patientenverfügung bis zur Frage, wie sich die Senioren ihr Lebensende vorstellen. Denn noch können sie das alles selbst bestimmen«, so Gerti Höhlein.
Eine, für die solche Themen nie ein Tabu waren, ist Ursula Koch. Da ihre Kinder in Hamburg, München und im Schwarzwald leben, berufstätig sind oder, wie ihre Tochter, fünf Kinder großziehen, hat sich die 80-Jährige früh um alles gekümmert. Bereits 2001 zog sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann in die »Alte Glaserei«. »Ich habe Vollmachten erteilt, das Testament gemacht und mir sogar schon eine Urne ausgesucht«, sagt die 80-Jährige, die seit Jahren Vorsitzende des Beirats ist und immer noch voller Pläne steckt.
Dass es Frau Koch so gut geht, liegt auch an der Vorsorge, die sie beizeiten getroffen hat. Doch die wenigsten Menschen können so auf- und abgeklärt mit dem Thema Altwerden umgehen — sie schieben es auf, bis schließlich ein Notfall eintritt.
Mehr als 60 Prozent der über 80-Jährigen leben hierzulande allein und unter Wohnbedingungen, die auf Hilfsbedürftige oft nicht ausgerichtet sind.
Und: Dreiviertel von den derzeit 2,4 Millionen Pflegebedürftigen werden in Deutschland zu Hause versorgt, meistens von den Töchtern. Diese kümmern sich im Durchschnitt ca. acht Jahre lang um Vater oder Mutter und werden während dieser hohen körperlichen wie emotionalen Belastung oft selber krank. Doch lieber leiden sie still vor sich hin als sich den Vorwürfen der Verwandtschaft auszusetzen. Um dementsprechender Überlastung oder auch Vorwürfen entgegenzuwirken, raten Experten in solchen Fällen dazu, Unterstützungsbedarf zu signalisieren oder zum Beispiel das Angebot einer Kurzzeitpflege zu nutzen.
Soweit wollte es Erika Pöschl nicht kommen lassen. Als sie nach einem Krankenhausaufenthalt komplett auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen war, merkte sie schnell, wie kaputt das Edelgard machte. »Sie bat mich, im AWO Seniorenzentrum Am Königsbrnpark nach einem freien Zimmer nachzufragen, wo schon lange ihre gute Freundin Erna wohnte«, erzählt Edelgard Angsten, die mit ihrer Mutter auf einer Parkbank die Herbstsonne genießt.
»Für mich war dieser Schritt furchtbar — ich hatt Angst, dass sie mit dem Leben abgeschlossen hat.«
Zu Unrecht: Die 85-Jährige erholte sich rasch und genießt heute die Aktivitäten unter Gleichgesinnten. »Viele tun sich schwer, für ihre Eltern zu entscheiden und sie in einem Seniorenzentrum anzumelden«, sagt Astrid Ballmann, die die AWO Einrichtung in Waldbröl leitet. »Man muss sich vorsichtig mit Menschenverstand an das Thema herantasten.« Ihre Empfehlung: es erstmal mit Kurzzeitpflege zu versuchen. Denn wer drei, vier Wochen den Altag im Seniorenzentrum erlebe, wolle meist bleiben. Anders als zum Beispiel dei den arbeitenden Kindern, ist es hier altersgerecht eingerichtet und nie einsam. Trotzdem quälen sich viele Angehörige mit dem Gefühl des Versagens. weil sie die Pflege nicht mehr alleine schaffen können.
»Wir versuchen dagegenzusteuern, indem wir die Kinder mit ins Boot nehmen und sie zum Beispiel auf Festen oder Ausflügen integrieren«, sagt Petra Bogert, die den Sozialen Dienst des AWO Seniorenzentrums in Übach-Palenbach leitet. »Es tut ihnen gut, wenn sie aktiv sein können und selbst Vater oder Mutter im Rollstuhl schieben.« Manche Senioren blühen im Seniorenheim sogar regelrecht auf und sind nach einer einiger Zeit wieder in der Lage, allein zu wohnen. »Die Rekonvaleszenz-Fälle nehmen zu«, bestätigt Einrichtungsleiterin Ballmann.
»Unsere Häuser sind keine Einbahnstraßen: Jeder kann kündigen und wieder ausziehen.«
Meist erleben sie jedoch nach erfolgreicher Eingewöhnungsphase, wie sowohl bei den Bewohnern als auch bei deren Angehörigen eine riesige Anspannung abfällt.
Das empfand auch Gabriele Duus, deren demenziell erkrankte Mutter seit Januar im Waldbröler Haus untergebracht ist. Davor lagen viele Jahre der Sorge. »Meine Eltern wohnten lange in einem Fachwerkhaus, und wir hatten ständig Angst, dass Mama das Bügeleisen oder den Hers anlässt und alles abbrennt«, erzählt die gelernte Konstrukteurin. Als es auch dem Vater schlechter ging, zogen die Eltern in eine betreute Wohnung. »Irgendwann war mein Vater am Ende seiner Kräfte und suchte das Heim hier für Mama aus«, sagt Gabriele Duus und hält dabei die Hand ihrer Mutter Gerti Klein. »Es war eine harte Zeit: Ich fuhr dreimal täglich zu Papa, schaute nach meiner Mutter und sorgte mich um meinen Mann, der inzwischen auch erkrankt war.« Als der Vater starb, musste sich Gabriele Duus um eine Auflösung der Wohnung kümmern, um die Witwenrente und half außerdem ihrer studierenden Tochter beim Umzug nach Holland. »Jetzt ist das meiste geregelt und ich kann durchatmen.«
Maria Hinterseher hat keine Kinder, aber einen acht Jahre jüngeren Bruder, der sich liebevoll um sie kümmert. Fritz Rausch holte seine verwitwete Schwester aus München zu sich nach Hause ins mittelrheinische Kerpen-Brüggen.
»Nach dem frühen Tod unserer Mutter war Maria immer für mich da — von ihr bekam ich mit 16 meine erste lange Hose«, erinnert sich Fritz Rausch, und schaut dabei lachend zu seiner Schwester. »Später konnte ich ihr etwas von ihrer Fürsorge zurückgeben.«
Er baute das Haus rollstuhlgerecht um, inklusive eines Treppenliftes. Doch dann wurde auch seine vor acht Jahren verstorbene Frau krank. Da entschieden die Geschwister sich für den Umzug der 88-Jährigen ins nur wenige Minuten entfernte AWO Seniorenzentrum »Herbert-Wehner-Haus«. Jeden Tag radelt der lebensfrohe Rentner zu Maria, trotzdem bleibt ihm nach langjähriger Pflege zum ersten Mal Zeit für sich. Die genießt Fritz Rausch, denn er hat sich vor kurzem verliebt — in Inge, die genau wie er verwitwet ist und eine Tochter hat. Die Kinder freuen sich über das neue Glück ihrer alten Eltern, zeigt es doch:
Auch mit 80 kann das Leben noch erfüllend sein und viele schöne Momente bereithalten.
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