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Wer ist Ihr Vorbild?

Manchmal ist es eine Geste, die Menschen – wie Willy Brandt beim Kniefall in Warschau – zu Helden machen, manchmal imponiert uns der Lebensweg einer Person. Das AWO Journal fragte Bewohner von Seniorenzentren in und um Mainz und Kassel nach ihren ganz persönlichen Vorbildern. Die Bandbreite reicht vom Bundeskanzler a. D. bis zum großen Bruder.

Frieda Sauer, 92, aus dem AWO Altenzentrum Fuldabrück

Mein Bruder Heinrich war zwei Jahre älter als ich und schon zu Kinderzeiten mein Vorbild. Ich konnte mich immer an ihn wenden, egal, um was es ging. Umso schlimmer war es, als er im Krieg 1944 schwer verletzt wurde und in ein Lazarett ins Siebengebirge kam. Ich besuchte ihn dort und war glücklich, als er nach der Gefangenschaft wieder in unsere Heimat kam. Jahre später ging meine Ehe in die Brüche, und auch da hat sich Heinrich sehr um mich gekümmert und mich ganz oft besucht. Es war ein furchtbarer Verlust, als er im Alter von nur 72 Jahren verstarb.

Heinz Beschmann, 78, aus dem AWO Seniorenzentrum »Am Rosengarten« in Mainz

Der Offizier Eugen Meindl ist ein Vorbild und hängt als Bild in meinem Zimmer. Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt. Er starb, da war ich erst 17 und machte eine Ausbildung zum Zuckerbäcker. Das tat ich nur meinem Vater zuliebe, dem ein Café in Art der Wiener Kaffeehaustradition mit Musikern gehörte. Aber als 1954 in Deutschland die Bundeswehr gegründet wurde, wollte ich Soldat werden. Ich blieb dort 35 Jahre und war Oberleutnant – wie auch Meindl. An ihm imponierte mir aber vor allem seine unglaubliche Vielseitigkeit. Er war nicht nur ein außergewöhnlich guter Sportler und eine Führungspersönlichkeit, sondern auch sehr musisch, spielte mit 14 sein erstes Händel-Konzert. – Ein noch lebendes Vorbild ist für mich Kurt Beck. Ich war sein Stellvertreter, als er den Vorsitz des Bezirkspersonalrats beim Territorialkommando innehatte. Er ist ein ruhiger, vernünftiger Mensch, nie abgehoben, sondern blieb bis heute der Pfälzer Bub, der er von jeher war. Besonders schön finde ich, dass mich Kurt schon zweimal hier im Seniorenzentrum besucht hat.

Waltraud Nicolai, 87, aus dem AWO Altenzentrum »Ursel Distelhut Haus« in Mainz-Mombach

Meinen Mann lernte ich mit 18 kennen. Er war beim Militär und kam viel herum. Wir heirateten, bekamen zwei Söhne und lebten jahrelang im Ausland, u. a. in den USA und in Paris. Er zeigte mir die große Welt. Außerdem war er unheimlich vielseitig, ging jagen, angeln, sprang Fallschirm … Man muss tolerant sein und den Männern ihre Hobbys lassen. Das habe ich getan. Umgekehrt unterstützte mein Mann mich. Ich durfte z. B. meinen Führerschein machen und auch alleine weggehen, was früher nicht selbstverständlich für Ehefrauen war.

Inge Krämer, 86, aus dem AWO Altenzentrum »Ursel Distelhut Haus« in Mainz-Mombach

Meine Mutter war eine starke Frau, die durch ihre Art und Weise, das Leben zu meistern, immer ein Vorbild war. Sie jammerte nie, schaute stets nach vorne, obwohl ihr das Schicksal ziemlich zusetzte. So sind von ihren neun Geschwistern nur drei übrig geblieben. Mein Bruder ist im Krieg gefallen und mein Vater mit nur 50 Jahren an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben. Statt sich zu Hause einzuigeln, besuchte sie damals einem Modellierkurs der VHS, der schließlich dazu führte, dass sie Künstlerin wurde. Meine Mutter war eine Macherin und Optimistin, sonst hätten wir wohl auch nicht die Flucht aus Westpreußen überlebt.

Rüdiger Janssen, 68, aus dem AWO Altenzentrum »Käthe-Richter-Haus« in Kassel

Mein Deutschlehrer Herr Scholz unterrichtete uns erstmals in der 11. Klasse. Nie werde ich vergessen, wie er gleich in der ersten Stunde eine DIN-A4-Seite präsentierte, auf der die Buchtitel standen, die wir innerhalb der nächsten vier Wochen lesen sollten. Nicht, dass ich mich vorher nicht für Literatur interessiert hätte, aber erst mit Herrn Scholz fing ich an, wie wild zu lesen. Montags konnte es passieren, dass er mich oder andere Schüler aufforderte, den Deutschunterricht alleine zu gestalten und das gerade gelesene Buch wiederzugeben. Herr Scholz begleitete uns bis zum Abitur, und wir haben in diesen drei Jahren sehr viel gelernt. Politisch war Willy Brandt mein Vorbild. Obwohl er Widerstandskämpfer war, zeigte er 1970 mit seinem Kniefall in Warschau wahre Größe.

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