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78 Jahre Altersunterschied? Na und!

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Was haben Schüler von der Begegnung mit Menschen, die ihre Urgroßeltern sein könnten? Warum wollen Heranwachsende Altenpfleger werden? Und was schätzen Bewohner sowie Mitarbeiter an der jungen Generation? Eine Umfrage

»Meine Oma ist mein Vorbild«

Maurice Lefebvre (re.), 15, hier mit Besucherin Edeltraud Precha, nahm als Schüler der Heinrich-Böll-Schule Bruchköbel am Projekt »Lebenszeichen: Jung trifft Alt« teil

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»Ich habe schon immer viel Zeit mit meiner Oma verbracht – wahrscheinlich interessieren mich deshalb alte Menschen. Schon mit zwölf Jahren bin ich ins Altenheim gegangen, um dort den Bewohnern vorzulesen. Man merkt, dass sie das glücklich macht, und umgekehrt finde ich es spannend, etwas über ihr Leben zu erfahren. Bei dem Schulprojekt gab es allerdings nicht so viel Kontakt mit den Bewohnern, da es diesmal um die Gestaltung der Räume ging. Ich persönlich höre gerne die Geschichten der Menschen. Meine Oma zum Beispiel musste aus Ost-Preußen flüchten – das hat sie natürlich geprägt. Vielleicht kommt daher auch ihr starker Wille: Jetzt ist sie Mitte 70 und fährt noch immer über 4000 Kilometer im Jahr mit ihrem Fahrrad – das finde ich beeindruckend!«

 

 »Die Biografiearbeit mit den Bewohnern ist besser als jedes Geschichtsbuch.«

Linda Klein, 20, Azubi, hier mit Johanna Komande, im AWO Sozialzentrum Bruchköbel

QL9B6605»Im Rahmen meiner Ausbildung zur Altenpflegerin muss ich eine Biografiearbeit schreiben, d.h. ich beschäftige mich intensiv mit dem Leben eines Bewohners, den ich zuvor natürlich um Erlaubnis gebeten habe. In meinem Fall ist das jemand, der bei der SS war. Der Mann ist 98, und ich empfinde es als einen großen Vertrauensbeweis, dass er mit mir über dieses heikle Thema spricht. Er hatte Adolf Hitler persönlich kennengelernt und ist somit einer der letzten Zeitzeugen, die es überhaupt noch gibt. Ich glaube, er redet das erste Mal so freimütig über seine Vergangenheit. Alleine aufgrund unseres Altersunterschieds von fast 80 Jahren begegne ich ihm anders als ältere Leute. Überhaupt fühlen sich die Bewohner von uns Azubis oft besser verstanden. Wir sind noch nicht so abgeklärt und vielleicht auch etwas entspannter und geduldiger. Viele interessieren sich für unser Leben, fragen uns, ob wir einen Freund haben, was es mit den lustigen Bildchen auf dem Handy auf sich hat und warum wir diesen schweren Beruf ergreifen. Ich wollte eigentlich Krankenschwester werden, aber es gefiel mir nicht, dass man in der Klinik so wenig Zeit für die Patienten hat. Hier kann man eine langfristige Verbindung zu den Menschen herstellen. Als Halbitalienerin bin ich mit mehreren Generationen unter einem Dach aufgewachsen. Deshalb finde ich es schön, eine Art letzte Familie für die Bewohner zu sein.«

 

»Altenpflege liegt mir – nur an den Tod kann ich mich nicht gewöhnen.«

Michelle Mayer, 17, hier mit Ulrich Maul, will nach ihrem Bundesfreiwilligendienst im nächsten Jahr ihr Abitur machen

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»Nie hätte ich gedacht, dass mir die Arbeit in einem Seniorenheim so liegt – ich habe nämlich große Angst vor Krankheit und Tod. Deshalb kam es mir zunächst nicht in den Sinn, mich hier als Bufdi zu bewerben. Doch nachdem ein Praktikum im Kindergarten nichts war, empfahl mir mein Bruder, der im Roßdorfer AWO Seniorenzentrum eine Ausbildung macht, es doch mal hier zu probieren. Bereits nach zwei Tagen erlebte ich meinen ersten Todesfall. Das war ein Schock, den ich dank der vielen Gespräche mit erfahrenen Mitarbeitern einigermaßen verdaute. Diese Erfahrung gehört zum Beruf des Altenpflegers leider dazu. Ich genieße die Zeit meines Bufdi-Daseins hier in der Einrichtung. Jeder Bewohner ist anders, und man muss sich auf die verschiedenen Charaktere einlassen. So gibt es hier eine Frau, die nie aus ihrem Zimmer kommt. Ich habe es geschafft, dass sie nun auch ab und zu eine Veranstaltung mit mir besucht, denn sie mag einfach keine Veränderungen. Das sind kleine Erfolgserlebnisse!«

 

»Viele Bewohner sind mir ans Herz gewachsen.«

Philipp Bergholz, 18, hier mit Bewohnerin Frau Riederer, hat gerade seinen Bundesfreiwilligendienst in der AWO Seniorenwohnanlage Roßdorf absolviert

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»Durch meinen Vater, der für die Heizung im Haus zuständig ist, bin ich auf die Idee gekommen, als Bufdi hier die Wartezeit auf eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zu überbrücken. Um ehrlich zu sein, fiel mir die Arbeit anfangs schwer. Ich bin ja eher handwerklich orientiert und fand es mental sehr anstrengend, sich auf die Psyche der Bewohner einzustellen. Für die Dementen ist es ja so, als ob sie mich jeden Tag neu kennenlernen. In der ersten Zeit bin ich abends immer total erschöpft ins Bett gefallen, zumal es ja auch etwas ganz anderes als Schule ist. Zu meinen Aufgaben gehörten unter anderem die Beschäftigung mit den Senioren wie Spielkreis, Gymnastik und Kegeln. Spaß machte es auch, mit ihnen über Fußball zu fachsimpeln. Viel Ahnung hat zum Beispiel Frau Niederer, die ein großer HSV-Fan ist und sogar ihren Rollator mit dem Blau-Weiß-Emblem dekoriert hat. Immerhin hat der Verein die gleichen Farben wie der SV Darmstadt 98, mein Favorit. Mein Bundesfreiwilligendienst geht nun zu Ende, aber ich werde sicherlich immer mal wieder vorbeikommen. Schließlich sind mir viele Bewohner ans Herz gewachsen.«

 

»Wir waren schon ein Mehrgenerationen-Haus, als das Thema noch nicht in Mode war.«

Christel Borisch, Sozialdienstleiterin, ist seit 23 Jahren in der AWO Seniorenwohnanlage Roßdorf tätig

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»Unsere Einrichtung hat den Vorteil, dass sie mit einem großen Foyer sowie einem 30 Grad warmen Pool ausgestattet ist. Sie bietet damit optimale Bedingungen für Vereine, die bei uns ihre Kurse abhalten. Und so kommen seit 1993, also seit der Eröffnung unserer Seniorenwohnanlage, Menschen jeden Alters zu uns. Wir sind sozusagen ein Mehrgenerationen-Haus der ersten Stunde! Unsere Bewohner schauen besonders gerne den Kindern beim Schwimmen zu, und wenn die Mütter in unser Café gehen, herrscht sofort eine lebhafte Atmosphäre. Eine gute Sache ist die 2015 vom AWO Bundesverband initiierte »Aktionswoche der Generationen«, bei der Senioren etwas gemeinsam mit dem Nachwuchs unternehmen, in unserem Fall sind das die Mädchen und Jungs vom AWO Kindergarten. Den Bewohnern tut es gut, wenn sie aktiv sind, den Kleinen etwas zeigen können, sie beim Basteln unterstützen oder ihnen vorlesen. Ab Herbst findet mit der Integrationsgruppe Ekkehard Steinfeld der AWO Villa Kunterbunt einmal im Monat eine Veranstaltung statt. Dabei werden gemeinsam Aktivitäten unterschiedlicher Art unternommen, z.B. Tiergartenbesuch, Spaziergang, gemeinsames Mittagessen etc.«

»Alle Achtung vor den jungen Menschen!«

Hannelore Kaiser (zweite v. li.) , 89, kommt gerne zu den Veranstaltungen das AWO Sozialzentrum Bruchköbel

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»Als ich so jung war wie die Schüler, die heute von der Heinrich-Böll-Schule im Seniorenheim sind, herrschte Krieg. Ich hatte keine Jugend, sondern bin als 15-Jährige mit dem Rad hamstern gegangen. Mehr als Volksschule war leider nicht drin. Umso stolzer bin ich, dass meine Kinder studieren konnten und meine Tochter sogar über 20 Jahre in Rom an der Uni gelehrt hat. Ich gebe zu, dass ich gerne noch mal jung wäre. Dann würde ich allerdings nicht mehr so früh heiraten. Damals war ich gerade mal 22 und finanziell abhängig von meinem Mann. Heutzutage sind die Frauen selbständig und verdienen ihr eigenes Geld, so wie hier im Seniorenzentrum. Die jungen Leute machen ihre Arbeit sehr gut und sind auch uns Besuchern gegenüber aufmerksam. Ich habe alle Achtung vor ihnen.«

 

»Eine wertvolle Erfahrung für Kinder«

Christiane Dudek leitet den AWO Kindergarten in Roßdorf

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»Als wir 1996 die »Villa Kunterbunt« eröffneten, suchten wir einen Platz für unser Laternenfest. Schnell fanden wir ihn im Garten der AWO Seniorenwohnanlage Roßdorf – es war der Beginn unserer schönen Verbindung. Neben dem St. Martinsumzug, der hier jedes Jahr seinen Endpunkt hat, gehört auch die Nester-Suche an Ostern zur festen Institution, bei der die Kinder mit den Senioren gemeinsam das Gelände durchstreifen. Toll war die Aktionswoche, bei der unsere Fünfjährigen mit den Bewohnern etwas kreiiert haben: geknetet, Steine bemalt, Taschen bedruckt, Memory gespielt. Es herrschte eine unglaubliche Ruhe! Für viele war es das erste Mal, so hochbetagte Menschen zu erleben, denn ihre Omas und Opas sind jünger und oft noch rüstig. Natürlich sind die Kinder erst mal irritiert, sie gucken mit offenen Mündern auf die teils im Rollstuhl sitzenden, dementen oder gebrechlichen Menschen. Doch bei gemeinsamen Beschäftigungen kommen sie ins Gespräch und dann ist auch schnell die Hemmschwelle überwunden. Wir bringen auch immer etwas mit, nichts Materielles, sondern selbstgebastelte Blumen, ein Gedicht oder ein Lied, das die Kinder vortragen. Wenn sie dann sehen, wie sehr sich die Senioren darüber freuen, sind sie ganz stolz. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der schon die Kleinsten digital geprägt sind, ist dieser unmittelbare Kontakt mit dem Alter eine sehr wertvolle Erfahrung.«

 

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