in ,

Die Macherin aus Mazedonien

© COMMWORK, Eric Langerbeins

Eine Saline mitten im Raum – da staunten die Gäste, als sie am »Tag der offenen Tür« Anfang Februar die neue Tagespflege des Horst-Schmidt-Hauses der AWO betraten. 

Die eigentlich zur Salzgewinnung gedachte Säule mit Sanddorn-Geäst soll für frische Luft sorgen und etwas Gutes für die Atemwege tun. Sie symbolisiert aber vor allem auf wunderbare Weise die Vision der Betriebsleiterin Roza Bering von einer Senioreneinrichtung als Wohlfühlort. 

Dazu gehört für sie neben einer gemütlichen Einrichtung mit Pflanzen, Wandbildern, Kamin und liebevoll gestalteten Sitzecken eben auch ein angenehmer Geruch. »Das war das Erste, was ich schon als Auszubildende in Angriff nahm«, erinnert sich Frau Bering beim Gespräch in der Cafeteria.

Wer will schon in ein Haus ziehen, in dem es nicht gut riecht? Das fragte sie damals ihren Chef und regte an, Strukturen zu ändern. »Es kann nicht sein, dass Mitarbeiter, die sich eigentlich um die Pflege kümmern sollen, den Speisesaal aufräumen und dann zu wenig Zeit für die Bewohner*innen haben.«

Hingucken, zupacken und wenn etwas nicht funktioniert, eine andere Lösung finden. Mit dieser pragmatischen Art und Organisationstalent übernahm Roza Bering früh Verantwortung. Auch wenn es nicht allen gefiel, dass da ein »junges Ding« plötzlich einiges auf den Kopf stellen wollte. Oft hieß es: »Aber wir haben das schon immer so gemacht« – ein Satz, der sie viel Kraft kostete und gegen den sie bis heute allergisch reagiert.

Bereits als Kind stellte Roza lieber Gegebenheiten infrage, statt sie hinzunehmen. Zum Leidwesen der Eltern, die mit ihrer Jüngsten so manche Diskussion ausfechten mussten.

Aufgewachsen ist sie in Mazedonien, in einem Dorf an der griechischen Grenze, wo die Familie vom Tabakanbau lebte. Die drei Kinder mussten früh aufs Feld und bei der Ernte helfen. Als die Tochter wieder einmal für ihre Ausgehrechte kämpfte, sagte der Vater, er brauche keine Anwältin im Haus. Und von der Mutter hörte sie, man solle sich nicht streiten, sondern als Frau nachgeben.

»In dieser Hinsicht musste ich meine Eltern enttäuschen«, sagt Roza Bering, die Marie Juchacz ebenso zur ihren Vorbildern zählt wie die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg.

 »Ich ertrage keine Ungerechtigkeiten, auch nicht in der Behandlung zwischen den Geschlechtern.«

Nach ihrer Ausbildung als Krankenschwester wollte die damals 19-Jährige in Skopje Pharmazie studieren. Doch dann brach im ehemaligen Jugoslawien der Krieg aus. Vorbei der Traum von einer eigenen kleinen Apotheke. 

Den Kopf in den Sand stecken? Auf keinen Fall. Getreu ihrem Motto »Wenn Plan A nicht klappt, folgt Plan B«, machte sich die junge Frau auf den Weg nach Deutschland, wo Krankenschwestern gesucht wurden.

Nach einem halben Jahr Intensivsprachkurs wurde ihr eine Stelle in einem Pflegeheim bei Frankfurt angeboten – mit der Option, zu einem späteren Zeitpunkt in ein Krankenhaus zu wechseln.

»Doch als es soweit war, wollte ich in der Altenpflege bleiben«, erzählt die 45-Jährige. »Ich habe mich dort wohlgefühlt und schnell gemerkt, dass ich Dinge bewegen und mich entfalten kann.« Das ist auch der Grund, warum sie diesen Beruf heute noch jungen Menschen ans Herz legt: 

»Als Pflegefachkraft stehen einem alle Möglichkeiten offen; es ist keine monotone Arbeit und man hört sooft Dankeschön wie sonst nirgends.«

Nicht zu vergessen die spannenden Biografien, die man im Umgang mit

den betagten Menschen erfahre. Das sei wie Geschichtsunterricht, nur anschaulicher. Überhaupt ist die Mutter einer sechsjährigen Tochter von der älteren Generation beeindruckt. Bei starken Frauen denkt sie an ihre Bewohnerinnen. »Viele haben Krieg, Hunger, Krankheiten und Schicksalsschläge wie den Verlust eines geliebten Menschen erlebt – und lassen sich trotzdem nicht unterkriegen.« Begegnungen mit solchen Persönlichkeiten gehörten für sie zu den besonders schönen Seiten des Berufes, bei dem soziale Kompetenz das A und O sei.

Dass die Branche so wenig Anerkennung in der Gesellschaft erfährt, stört Roza Bering hingegen gehörig. »Ich wünsche mir mehr Verständnis für unsere Tätigkeit, die enorme psychische und physische Kraft abverlangt.« 

Ihr persönliches Ziel: etwas gegen den Fachkräfte-Mangel beitragen und Azubis fördern, damit sie nach der Ausbildung nicht das Handtuch werfen. Schließlich bekam auch sie die Chance, sich weiterzuentwickeln. Nach einer Zusatzqualifikation wurde Roza Bering – noch in ihren 20ern – Wohnbereichs- und stellvertretende Pflegedienstleiterin. Dazu absolvierte sie berufsbegleitend ein Studium der Gesundheitsökonomie.

Nach diversen Stationen wechselte Bering zur AWO und wurde 2007, im Alter von 34 Jahren, Betriebsleiterin des Horst-Schmidt-Hauses. Unter ihrer Regie wurde das Gebäude nicht nur umgebaut und saniert, sondern sukzessive den heutigen Bedürfnissen angepasst. Neben der neuen Tagespflege sind demnächst auch 30 Apartments der Kategorie »Wohnen mit Service« fertiggestellt. 

»Seit einem Jahr führe ich Beratungsgespräche mit Interessent*innen und Angehörigen, kümmere mich um die rechtzeitige Lieferung von Möbeln und darum, dass die Handwerker alles in unserem Sinne umsetzen «, sagt Roza Bering. »Inzwischen sind alle Wohnungen vergeben und ich habe endlich wieder mehr Zeit für mein Team und vor allem die Bewohner*innen.« Schließlich seien die »Klient*innen« in einem Dienstleistungsunternehmen das Allerwichtigste. 

Ihr nächstes Ziel? »Kroatien«, lacht Roza Bering, die sich jetzt erst einmal auf den Familienurlaub freut. Und auf die Hochzeit ihrer Nichte in Mazedonien.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Loading…

0

Die unsichtbare Krankheit – Chronisches Erschöpfungssyndrom

Im Einsatz für Jung & Alt