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Einer geht noch? – Alkoholismus und Sucht im Alter

© Natalie JEFFCOTT

Die Teller werden gerade abgeräumt, jemand gießt den letzten Schluck Rotwein aus der Flasche ins Glas. Man will jetzt lieber auf Bier umsteigen, aber vorher soll jeder noch den Sahnelikör probieren, den die Gäste als Dank für die Einladung mitgebracht haben. So oder ähnlich wird es sich jetzt in der Vorweihnachtszeit in vielen Wohnzimmern in Deutschland abspielen.

Man kommt mit Freunden und Familie zusammen, lacht, isst und trinkt. Der Kalender ist so kurz vor dem Jahresende voll mit Geselligkeit: »Ein Gläschen in Ehren« und »Auf einem Bein kann man nicht stehen« tönt es auf Weihnachtsfeiern von Stammtisch, Tennisclub und Kegelverein. An ruhigen Abenden macht man es sich mit einem Glas Wein am Kamin gemütlich. Alles schön und gut und auf den ersten Blick auch unproblematisch. Bis es dann eben doch problematisch wird.

Alkohol ist hierzulande gesellschaftlich vollkommen akzeptiert und wird vielen gerade deshalb zum Verhängnis. Er ist überall und eigentlich rund um die Uhr verfügbar. Nicht nur in der Kneipe um die Ecke, sondern auch im Supermarkt, am Kiosk und an der Tankstelle. Bier, Wein und Hochprozentiges sind so in unser Leben integriert, dass in geselliger Runde eher die Abstinenten auffallen und nicht die Trinker. Aber während der Genuss von Alkohol legitimiert ist, ist der Missbrauch immer noch ein Tabuthema. Schnell vergisst man dabei, dass zwischen Abstinenz und Alkoholismus eine Menge dazwischenliegt und die Übergänge oft fließend sind.

Es ist unmöglich, eine allgemeingültige Trennlinie zwischen Genuss und Sucht zu ziehen. Im Internet kursieren Zahlen zu Grenzwerten und grammgenauen Angaben, wie viel Alkohol denn nun für Frauen und für Männer unbedenklich sei. Während man am Stammtisch über ein kleines Glas Bier für Frauen und einen halben Liter Bier für Männer diskutiert, formuliert es die Weltgesundheitsorganisation ganz deutlich: »Ein unbedenkliches Maß für den Alkoholkonsum gibt es nicht.« Unabhängig vom Geschlecht entscheiden auch andere physische und psychische Faktoren einer jeden Person individuell darüber, wie viel und wie gut Alkohol vertragen wird. Jenseits aller Theorien kann man aber sagen, dass sich jeder Gedanken machen sollte, der täglich Alkohol trinkt, und sei es auch nur ein Bier. Ein erstes untrügliches Anzeichen für eine Abhängigkeit ist das Verlangen nach Alkohol, auch losgelöst von Feierlichkeiten. Wer »ohne« unruhig und reizbar wird, hat ein Problem. Mehr dazu gibts unter: http://alter-sucht-pflege.de/Handlungsempfehlungen/Download/SMAST-G.pdf

»Ein unbedenkliches Maß für den Alkoholkonsum gibt es nicht.«

Aber wie kommt es überhaupt dazu? Die Ursachen für den Missbrauch von Alkohol sind im Alter ganz andere als bei jüngeren Menschen. Wenn mit dem Eintritt in die Rente plötzlich feste Strukturen wegbrechen und der Sinn im Leben fehlt, greifen viele zum Alkohol. Ähnlich ist es, wenn der Ehepartner zum Pflegefall wird oder stirbt. Gerade bei älteren Menschen bleibt die Abhängigkeit oft unentdeckt, weil eine Kontrollinstanz in Form eines Arbeitgebers oder Partners fehlt. Selbst vor den Angehörigen lässt sich die Trunksucht anfangs gut verbergen und erste körperliche Symptome wie Zittern, ein schwankender Gang und Vergesslichkeit werden als Alterserscheinung missinterpretiert. Dabei läuft das Leben bei den Abhängigen selbst immer mehr aus dem Ruder: Sie verlieren das Interesse an allem, können einfachste Alltagsaufgaben nicht mehr bewältigen und ziehen sich zunehmend aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Der Körper verlangt unterdessen nach immer größeren Mengen an Alkohol, weil er sich längst daran gewöhnt hat. So wird aus einem Glas am Abend bald eine ganze Flasche und aus Bier Schnaps. Die körperlichen Folgen sind bekannt: Schlafstörungen, Bluthochdruck, Leberschäden und ein erhöhtes Krebsrisiko. Dazu kommen – teils lebensgefährliche – Wechselwirkungen mit Medikamenten und die Gefahr, sich bei einem Sturz schwer zu verletzen. Damit einher geht häufig der Verlust der Selbstständigkeit und Freiheit.

So finster all das klingen mag, es gibt Wege raus aus der Abhängigkeit. Wer sein Problem selbst erkennt und bereit ist, etwas zu ändern, findet deutschlandweit in qualifizierten Beratungsstellen erste Ansprechpartner und Hilfe, auch anonym (Infos & Adressen, S. 09). Häufig kann auch ein offenes Gespräch mit dem Hausarzt oder mit Pflegepersonal Türen öffnen. Ebenso sollten Angehörige und Freunde aktiv werden, wenn sie eine Abhängigkeit vermuten oder bereits festgestellt haben. Wer unsicher ist, sich schämt, das Thema anzusprechen, oder Angst vor der Reaktion des Gegenübers hat, findet auch als Angehöriger Hilfe bei Beratungsstellen. Ansonsten gilt: Suchen Sie das Gespräch. Vorwürfe zu machen, zu verurteilen oder gar zu drohen, ist der falsche Weg; erklären Sie dem anderen, dass Sie sich Sorgen machen und Ihnen an seinem Wohl gelegen ist. Zu spät ist es nie, Beratung und Therapie können auch im Alter erfolgreich sein und die Lebensqualität merklich verbessern.

Eine Abhängigkeit kann schon nach einer einmonatigen Einnahme entstehen.

Aber ist denn gar nichts dran an den Mythen und Rezepten aus Omas Hausapotheke? Man muss kein Kneipengänger sein, um zu wissen, dass Rotwein gut fürs Herz ist, ein Piccolo den Kreislauf in Schwung bringt, Kräuterschnaps die Verdauung anregt und Klosterfrau Melissengeist bei allen anderen Wehwehchen Abhilfe schafft. Oder etwa nicht? Nun ja, in der Tat kann Alkohol auch gesundheitsfördernde Wirkungen haben. In kleinsten Mengen soll er entzündungshemmend sein, vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar vor Alzheimer und Thrombosen schützen. Ihn deshalb als vorbeugende Maßnahme zu konsumieren, ist allerdings nicht angeraten. Zum einen sind die Risiken, dem Körper mehr zu schaden als gutzutun, sehr hoch. Zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit, abhängig zu werden.

Stille Nacht – abhängig von Medikamenten

Nicht nur Alkohol, auch Medikamente gehören zu den im Alter häufig konsumierten Suchtmitteln. Vor allem Benzodiazepine werden oft und leichtfertig verschrieben. Diese Psychopharmaka haben angstlösende, beruhigende und schlaffördernde Eigenschaften und werden etwa bei Schlafstörungen, Unruhe oder Rückenschmerzen verordnet. Eine Abhängigkeit kann schon nach einer einmonatigen Einnahme entstehen. Gefährlich sind hierbei vor allem die Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – auch rezeptfreien – und Alkohol. Wer meint, zu viele und vielleicht überflüssige Medikamente einzunehmen, wendet sich im besten Fall an den Hausarzt und äußert seine Bedenken. Machen Sie gemeinsam eine Bestandsaufnahme aller Medikamente. Erkundigen Sie sich bei jeder neuen Verschreibung nach Wirkung und Dringlichkeit des Mittels.

Alternativ oder zusätzlich stehen Ihnen auch hier Beratungsstellen zur Seite:

AWO-Suchthilfe

Die AWO-Suchthilfe bietet deutschlandweit per Mailberatung eine erste Kontaktaufnahme und fachliche Beratung für Suchtkranke, Angehörige und Freunde an. Auf Wunsch wird eine Anlaufstelle vor Ort vermittelt.

Mehr dazu unter http://awo.org/beratung-finden/suchtberatung

Blaues Kreuz in Deutschland e. V.

Die christliche Selbsthilfeorganisation unterstützt suchtgefährdete und suchtkranke Menschen, deren Verwandte und Partner. Die Organisation ist deutschlandweit mit eigenen Zentren, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen vertreten.

Mehr dazu unter http://blaues-kreuz.de

Unabhängig im Alter

Auf den Internetseiten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. findet man neben umfangreichen Informationen zum Thema eine Datenbank, in der bundesweit ambulante Suchtberatungsstellen und stationäre Suchthilfeeinrichtungen aufgeführt sind. Außerdem gibt es Broschüren mit Anregungen speziell für ältere Menschen, die man bestellen oder direkt als PDF herunterladen kann.

Mehr dazu unter http://unabhaengig-im-alter.de

Autorin: Alina Halbe

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