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Nehmt uns ernst!

Starker Senior
©iStock

Kaum sind die Haare grau, die Augen schwächer und die Beine etwas lahm, werden ältere Menschen von ihrem Umfeld oft nicht mehr ernst genommen. Doch statt die Älteren mit gut gemeinter Hilfe zu überschütten, sie zu behüten oder gar zu bevormunden, müssen ihre Ängste, Sorgen und Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Denn die meisten Menschen wollen ihren Alltag auch im Alter selbst gestalten, mit jüngeren Generationen auf Augenhöhe kommunizieren und freie Entscheidungen treffen. Ein Leben auf dem Abstellgleis? Von wegen!

Wir werden immer älter.

Vor allem in den Industrieländern steigt die Lebenserwartung rapide. Die Gründe dafür sind vielfältig: bessere Hygiene, gute Ernährung und extreme Fortschritte in Medizin und Forschung. Wissenschaftler rund um den Globus basteln an implantierbaren Herzschrittmachern, künstlichen Hüftgelenken und High-Tech-Schuhen, die Stürze verhindern sollen. Auch Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck sind längst keine so großen Gefahren mehr wie vor etwa 50 Jahren. Aus der Bevölkerungspyramide mit vielen jungen und wenigen alten Menschen ist so in den letzten Jahrzehnten eine Verteilung geworden, die grafisch – nun ja – einer Urne ähnelt. Dabei stellen die Altersklassen zwischen 50 und 80 Jahren den Großteil der Bevölkerung dar. Eine Generation, die wir nicht nur ernst nehmen sollten, sondern müssen.

Auf Werbeplakaten lachen einem gutaussehende Grauhaarige entgegen, ältere Damen zeigen für Kosmetikhersteller Falten und Kurven und rüstige Senioren präsentieren neue Technik und schicke Autos. Nicht immer ohne Ironie, aber man kann eben auch über sich selbst lachen. Auch Kino, Literatur und Theater rücken Ältere mehr denn je in den Fokus. Man könnte meinen: Grau ist das neue Schwarz.

Das Bild der Senioren hat sich gewandelt.

Sie wollen ihren Ruhestand aktiv gestalten und mit den jüngeren Generationen auf Augenhöhe sein. Sie surfen im Internet, bereisen ferne Länder, erklimmen Bergspitzen und engagieren sich in sozialen Projekten. Man will sich auch nützlich machen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten.

An sich sind das alles gute Nachrichten. Doch schnell wird klar: Viele fallen hier durchs Raster. Wer im Alter noch gehört wird und sich aktiv einbringt, hat meist auch eine höhere Bildung genossen, ein großes soziales Netzwerk und einen guten Job gehabt. Wer dagegen eine eher unauffällige Biografie vorweist, wird auch im Alter nicht plötzlich ein Amt im Gemeinderat bekleiden. Von den Kranken oder gar Pflegebedürftigen ganz zu schweigen. Sie können mit den »Golden Agers« erst recht nicht mithalten und werden damit noch viel mehr ausgegrenzt als sie es ohnehin schon sind.

Dabei machen Krankheit und Gebrechen auch vor den aktiven Senioren keinen Halt. Eine ernste Erkrankung oder der erste schwere Sturz stellen das Leben auf den Kopf. Plötzlich stehen unzählige Fragen im Raum: Welche Form der Betreuung ist die richtige? Heim oder Zuhause? Schön, wenn sich dann Töchter, Söhne und Enkel um das Wohl ihrer Eltern und Großeltern sorgen, aber manchmal ist es doch zu viel des Guten. Denn im Eifer des Gefechts wird oft überhört, was die Betroffenen eigentlich wollen und über ihren Kopf hinweg entschieden. Die Folgen: Alte Menschen fühlen sich ausgeliefert und entmündigt. Sie haben Angst, ihr Recht auf Selbstbestimmung zu verlieren und fürchten sich davor, ihr Leben in die Hände fremder Betreuer geben zu müssen.

Kliniken, Psychologen und Lebensberater haben reagiert. In vielen Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen gibt es spezielle Fachbereiche für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie, also für psychische Erkrankungen bei älteren Menschen. Wichtige Themen sind hier etwa Ängste vor Abhängigkeit, Pflegebedürftigkeit, Einsamkeit und dem Verlust der sozialen Strukturen. In Gesprächen – einzeln oder in der Gruppe – kann man sich über Sorgen und Nöte austauschen.

Auch im täglichen Umgang miteinander können Alt und Jung noch ein gutes Stück aufeinander zugehen. Angehörige sollten ihre älteren Verwandten selbst entscheiden lassen, wie viel Hilfe sie annehmen wollen und vor allem von wem. Vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht geistig erkrankt sind. Respekt, Geduld und Verständnis sollten dabei die Basis bilden. Und für ältere Menschen gilt: Sie sollten ihre Rechte einfordern, ihre Sorgen laut aussprechen dürfen und bei Missverständnissen das Gespräch mit den Angehörigen suchen.

Doch trotz allem gibt es sie, die Momente, in denen die Familie vielsagende Blicke austauscht und die Enkelin ruft: »Oma, das verstehst du ja doch nicht mehr!« Dann dürfen wir uns gerne daran erinnern, dass alte Menschen einen Rucksack voll Lebenserfahrungen mit sich herumtragen. Und das müssen wir ihnen erstmal nachmachen.

In den folgenden drei Beiträgen erzählen drei Seniorinnen und Senioren, wie sie dank spannender Projekte immer noch mitten im Leben stehen: Eine Hamburgerin bringt Amateurjoggern das Laufen bei, in Würzburg gibt ein Senior Nachhilfe in Sachen Computer und Internet und ein Ruheständler aus Schönaich berät Existenzgründer und Unternehmer:

 

 

 

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