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Ruhestand

von der Gast-Autorin Ursula Schüren aus dem AWO Seniorenzentrum Feierabendhaus in Bad Salzuflen

 

Das ist schon eine paradoxe Angelegenheit! Als Gustav vor einigen Jahren begann, darüber zu sprechen, dass wir an ein Aufgeben der Pension denken müssten, war ich hell empört.

»Soll ich nur sitzen und Däumchen drehen? Diese Tätigkeit können wir mit Vergnügen ausüben, bis wir 80 Jahre alt sind. Deine Tanten geben uns ein Beispiel dafür, wie so etwas geht!«

Und als wir nun wirklich in dieser Arbeit mit den Gästen keinen Sinn mehr sahen, weil es uns nicht befriedigte, immer angebunden zu sein und uns immer dasselbe anzuhören, war es ausgerechnet Gustav, der sich schwer tat mit dem Ausscheiden. Es hatte sich am Ende ja alles so gut gefügt, besser ging es nicht. Für mich war es von Anfang so, als hielte der Ruhestand weit seine Arme auf, und ich brauchte mich nur hinein fallen zu lassen – was ich ja auch tat. Vielleicht half mir dabei, dass ich die ganzen Jahre hindurch der Meinung war, ich absolvierte ein gerütteltes Maß an Arbeit. An der Reaktion der Gäste sah ich es öfter, dass sie meinten, ein Mensch allein könnte diese Arbeit nicht schaffen. Das war zweifellos eine große Befriedigung und vielleicht wollte ich auf diese, meine Eitelkeit streichelnde Meinung nicht verzichten.

Nun war also der Übergang vollzogen. Gott sei gedankt, es sieht nun so aus, als wäre das Schlimmste überstanden. Ich freue mich täglich daran, nun eine so schöne Wohnung zu haben. Nie hätte ich das gedacht, denn es ist ja so ungewohnt, dass uns keiner stört, wenn wir zusammensitzen. Es ist auch nicht eingetreten, dass ich Langeweile habe. Wenn man älter wird, geht die Zeit wohl überhaupt schneller vorbei. Da ich von Volker das Klavier bekommen habe, das ich ihm nach einer zunächst leihweisen Überlassung dann gleich abgekauft habe, frische ich meine Kenntnisse aus der Jugendzeit auf, was mir viel Freude macht. Um die kleinen grauen Zellen nicht einrosten zu lassen, löse ich gern die Rätsel »Um die Ecke gedacht«, auch ein Buch hin und wieder ist willkommen. Und dazu kommt, dass wir uns im abendlichen Gespräch doch immer mal wieder was Neues zu erzählen haben, was nach 37 Jahren Ehe sicher nicht selbstverständlich ist. Wenn eine echte Diskussion über ein interessantes Thema entsteht. ist auch das eine Freude.

Das total Neue sind natürlich unsere Reisen. Da die erste mit dem Bus nach St. Jacob gleich so gut gelang, alles stimmte ja dabei, das Wetter, die Stimmung, die gesundheitliche Verfassung, um aus dem Urlaub das Optimale zu machen, gab uns das Mut für weitere derartige Unternehmungen. Ja, bei der nächsten Reise waren wir sogar so übermütig mit dem Auto zu fahren. Es war sehr heiß zu der Zeit, sodass wir eine Nachtfahrt für gut hielten. So eine weite Fahrt am Steuer hatte ich noch nie gemacht.

Es war eine echte Herausforderung und ein Test, was wir uns noch zutrauen können. Die erste Strecke bis vor Würzburg fuhr Gustav, dann übernahm ich bis vor München. Es war inzwischen dunkel, zwar keine Laster auf der Autobahn, aber alles mit vollem Licht zu fahren und zu blenden. Trotzdem gelang es gut. Im Morgengrauen übernahm Gustav wieder bis zum Zielort Alpbach. Dort kamen wir gegen 6:30 Uhr an, alles schlief noch – und genau danach sehnten wir uns auch. Aber erst nach einem Spaziergang konnten wir es wagen, irgendwo zu klingeln. Wir hatten Glück, da wurde ein Zimmer frei. Also noch eine Runde gedreht, dann endlich erwartete uns ein Bett. Wir haben bis zum Nachmittag erstmal geschlafen, dann konnten wir den Ort mit ausgeschlafenen Augen ansehen und uns etwas orientieren. Mit dem Quartier hatten wir eine glückliche Hand bewiesen. Alle anderen Gäste waren schon zum x-ten Mal da, wir die einzigen Neulinge.

Nun, wir werden wohl immer Neulinge sein, denn wir haben beschlossen, immer nur einmal an einen Ort zu fahren, um den Reiz der Neuheit zu genießen. Aber den Bergen wollen wir treu bleiben solange es geht.

Wenn man bedenkt, dass wir von Bergen keine Ahnung hatten und das Wort »Bergwandern« für uns nicht existierte, hat uns der Bazillus dieser Zauberwelt ganz schön ergriffen. Wenn wir heute das Wort ,See‘ hören, entlockt uns das höchstens ein müdes Lächeln. Aber die Berge – hier leuchten die Augen. Es ist ja auch unbeschreiblich. Da quält sich ein Mensch bei Hitze und auch mal bei Regen einen Berg hinauf. Warum tut er das? Will er unbedingt einen Aktivurlaub? Nein, es ist viel komplizierter. Nicht der Weg ist die Hauptsache, oder doch? Ja – auf diesem Weg, mag er noch so unbequem und mühselig sein, gibt es schon Belohnungen im Übermaß. Jeder Blick in die Runde zeigt ein anderes Panorama, hat Überraschungen parat, hier ein neuer Wasserfall, dort ein überwältigender Ausblick auf wieder neue Berge, dazwischen eine alte Almhütte. Die ist mit einer Labsal ausgestattet wie es keine Torte mit Sahne sein kann. Nach einem stundenlangen Aufstieg schmeckt nichts besser als ein Becher Buttermilch, gereicht von freundlicher Hand. Die kurze Rast gibt soviel Besinnliches mit auf den folgenden Weg, man glaubt es kaum. Überhaupt ist es erstaunlich, was ein Mensch mit seinen kleinen Beinen so leisten kann. Eben war die Anhöhe noch weit über einem, mit dem bedächtigen Schritt hat man sie in kurzer Zeit erreicht. Man klopft sich selbst anerkennend auf die Schulter – wenn das kein Erfolgserlebnis ist?

Einmal hatte ich ein Höhenerlebnis besonderer Art in St. Jacob. Am letzten Tag wollte ich unbedingt den»Großen Leppleskofel« besteigen. Für einen Anfänger, der noch dazu die ersten 1000 m mit der Gondel hinauffahren konnte, hört sich das nicht mal so besonders an. Ja, aber Glück muss man haben. Es war nämlich d e r Supertag. Als ich die Spitze mit dem Gipfelkreuz erreicht hatte, war ich überwältigt.

So etwas hatte ich zwar schon in Filmaufnahmen gesehen, wenn sich die Leute am Gipfelkreuz ausruhen. Aber in natura ist es natürlich etwas ganz anderes. Schaute man nach der einen Seite, sah man den »Großglockner« ganz ohne Wolkenhaube, ein seltenes Schauspiel. Daneben erschienen die Schneefelder des »Großvenediger«. Drehte man sich um, ging der Blick bis zu den »Dolomiten«. Und alles bei klarem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Wahrlich eine überwältigende Belohnung für den Aufstieg. Wenn man da nicht auf den Geschmack kommt, weiß ich auch nicht. Was sind dann schon täglich 9 Stunden Wanderung in so einer Umgebung. Ausruhen kann man sich schließlich wieder zu Hause.

Geschrieben Januar 1992

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