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Wie man die Pflege aus der Ferne organisiert

© iStockphoto - Tom Merton

Wenn die Eltern alt werden und Unterstützung brauchen, helfen die Kinder. Doch die leben immer häufiger kilometerweit entfernt. Die Pflege aus der Ferne kann trotzdem gelingen. Dafür braucht es aber gute Organisation, ein bisschen Technik und ein neues Verständnis davon, was Pflege eigentlich ist.

Viele Eltern sind heutzutage noch lange fit. Doch manchmal machen Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Alzheimer oder auch nur ein Sturz die einst aktiven Senior*innen zu Pflegebedürftigen. In solchen Fällen springen dann die Kinder ein – betreuen, planen, pflegen. Doch Angehörige, die sich vor Ort um Mutter oder Vater kümmern können, gibt es immer weniger. Denn wer einmal fürs Studium oder wegen eines Jobs in eine andere, oft größere Stadt gezogen ist, kommt nur selten wieder in die Heimat zurück. Längst haben sich die Töchter und Söhne ein eigenes Leben aufgebaut, Kinder bekommen, Karriere gemacht. Das alles aufzugeben, um für Mama oder Papa da zu sein, wagen wohl nur die wenigsten.

Stattdessen wird aus der Ferne telefoniert und organisiert, was das Zeug hält. Denn: Man will ja da sein, man will ja helfen. Das schlechte Gewissen wird zum ständigen Begleiter und der Versuch, das eigene Leben, die Anforderungen im Job und die Pflege des Elternteils unter einen Hut zu bringen, zur Zerreißprobe. Denn irgendwer oder irgendwas bleibt immer auf der Strecke – meist sind es die Angehörigen selbst. Noch dazu kommen ein enormer zeitlicher Aufwand und finanzielle Kosten. Wer nicht unter der Woche da sein kann, versucht dann wenigstens am Wochenende zu unterstützen, lange Fahrten per Bahn oder Auto inklusive.

© Karsten Wurth – Unsplash

In der Forschung nennt man die Familienmitglieder, die sich aus der Ferne um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern, »Distance Caregivers«. Laut internationaler Definition müssen beide Seiten dafür mindestens eine Fahrtstunde voneinander entfernt leben. Bei Peggy Elfmann sind es knapp vier. Die Journalistin lebt mit ihrer Familie in München, ihre an Alzheimer erkrankte Mutter in der Nähe von Leipzig. Zwischen ihnen liegen etwa 400 Kilometer. Vor acht Jahren bekam ihre Mutter die Diagnose, da war sie 55 Jahre alt. »Mein Vater hat mir damals sofort gesagt, dass er nicht möchte, dass ich mein Leben in München aufgebe«, sagt sie. Zweifel habe sie trotzdem immer wieder. Alle vier bis sechs Wochen reist sie zu ihren Eltern, von München aus recherchiert sie Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten, macht Termine aus und informiert sich über Hilfsmittel.

Möglich ist also selbst aus der Distanz vieles. Auch, weil die Angehörigen für organisatorische und administrative Aufgaben gar nicht selbst vor Ort sein müssen. Pflege ist das trotzdem. Man muss den Begriff nur heute anders und vor allem weiter denken. Distance Caregivers leisten zwar weniger körperliche Hilfe, waschen, kochen und putzen nicht, engagieren aber entsprechendes Personal dafür.

Kann man nicht selbst vor Ort sein, ist man auf ein funktionierendes und zuverlässiges Netzwerk angewiesen. Auch das ist harte Arbeit, die für Außenstehende so erst mal gar nicht sichtbar ist: Man braucht Kontakt zu Arztpraxen und Apotheken vor Ort, einen guten Draht zum Pflegepersonal und nette Nachbar*innen, die bei kleineren Problemen schnell zur Stelle sind. Vor allem ist aber der Austausch innerhalb der Familie wichtig, mit den Geschwistern, Tanten, Onkel oder Enkelkindern, die vielleicht näher als man selbst am Geschehen leben. Mit ihnen teilen sich die Distance Caregivers sowohl die Pflege als auch die Verantwortung. Das birgt reichlich Konfliktpotenzial. Gelingt die Aufteilung innerhalb der Familie aber, haben diese Familien oft sogar eine engere Bindung zueinander, nicht zuletzt auch, weil sie im ständigen Kontakt miteinander stehen. Auch bei Peggy Elfmann funktioniert das Netzwerk. Ihr Bruder und sie sind ein gutes Team. »Den größten Konflikt habe ich mit mir selbst«, sagt sie. »Man braucht viel Reflektionsarbeit und gute Freundinnen und Freunde, die einen bestätigen und auch mal loben.«

Erleichtert wird die Pflege aus der Ferne auch dank Smartphones, Messaging-Diensten wie Whatsapp und Skype und weiterer technischer Hilfsmittel aus dem Bereich des Ambient Assisted Living. Das sind Systeme, die in das direkte Alltagsumfeld der Älteren implementiert werden und ihnen trotz Einschränkung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das Angebot reicht von der automatischen Abschaltung des Herdes bis hin zu Lampen, Heizungen und Rollläden, die mit einem Klick per App oder per Sprachbefehl bedient werden. Das alles setzt jedoch voraus, dass die pflegebedürftigen Eltern mit Geräten und Anwendungen umgehen können – und wollen.

© Andrey – iStockphoto
In der Forschung nennt man die Familienmitglieder, die sich aus der Ferne um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern, »Distance Caregivers«

Grenzen gibt es trotzdem, das Leben der Eltern lässt sich dann eben doch nicht einfach fernsteuern. Auch Peggy Elfmann hält nichts von langfristigen Plänen, stattdessen setzt sie auf Improvisation und das Leben im Hier und Jetzt: »Ich suche immer nur nach einer Lösung für den Moment und versuche, mir nicht so viele Gedanken darum zu machen, was als Nächstes passieren könnte. Was die Zukunft angeht, ist alles offen.«


INFO: ALZHEIMER UND WIR

Peggy Elfmann ist Journalistin, Mutter von drei Kindern und pflegt ihre an Alzheimer erkrankte Mutter, die 400 Kilometer von ihr entfernt lebt. Auf ihrem Blog »Alzheimer und wir« schreibt sie ehrlich und berührend über ihr ewig schlechtes Gewissen, den Umgang mit der Krankheit in der Familie und darüber, wie sie aus der Ferne für ihre Eltern da sein kann.

www.alzheimerundwir.com

Autorin: Alina Halbe

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