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»Wir lassen niemanden im Regen stehen«

© iStockphoto - AlenaPaulus

Gute Pflege fängt mit der Beratung an. Nur wissen viele nicht, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden können. Ein Gespräch mit Gudula Wolf von der AWO Online-Pflege- und Seniorenberatung

Gudula Wolf ist gelernte Krankenschwester und hat Pflegemanagement studiert. Seit 2015 ist sie Online-Pflegeberaterin bei der AWO.

AWO Journal: Frau Wolf, auf der Suche nach Rat verliert man als Pflegebedürftige*r oder pflegende*r Angehörige*r schnell den Überblick. Welche Beratung bietet die AWO?

Gudula Wolf: Auf unserer Webseite www.awo-pflegeberatung.de findet man vier wichtige Angebote: den Pflegeratgeber mit Informationsblättern zur Erläuterung und zum Herunterladen, den Bereich Aktuelles, auf dem wir über Neuigkeiten berichten, zum Beispiel, wenn die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, BAGSO, eine neue Broschüre herausgebracht hat. Dann gibt es die Telefon-Beratung, die wir mit Partnerverbänden der AWO anbieten …

… die aber laut Webseite nicht in allen Bundes- ländern vertreten ist. An wen können sich zum Beispiel die Menschen in Nord-rhein-Westfalen wenden, wo es diesen Service nicht gibt?

Da verweisen wir auf unsere Online- Pflege- und Seniorenberatung. Das ist die vierte Säule der AWO Pflege- beratung. Das Gute: Ratsuchende können sich von überall einloggen. Wir haben nicht nur deutschlandweit, sondern auch Anfragen von Mallorca bis Moldawien. Ein großer Vorteil ist ja, dass sich die Leute unabhängig von Ort und Zeit vertraulich bei uns melden können.

Oft helfen schon die Informationen, die sie auf unserem »Pflegeberater« abrufen können. Themen wie Tages- oder Kurzzeitpflege, Sturzprophylaxe oder Wohnformen im Alter werden in verständlicher Sprache erläutert. Diese Handouts sind unser Alleinstellungsmerkmal. Seit 2019 gibt es den sogenannten ReadSpeaker, mit dem man sich die Texte vorlesen lassen kann. Das ist für ältere oder sehbehinderte Menschen eine Erleichterung.

Welche Informationsblätter sind besonders beliebt?

Das sind »Leistungen der Pflegeversicherung im Überblick«, »Pflegegrad 1« und »Hausnotruf«. Je nach Jahreszeit ist auch der Download zu »Was tun bei Sommerhitze« begehrt. Es gibt 29 dieser Handouts. Sie werden gerade alle überarbeitet und bis Mitte 2020 auf den aktuellen Stand gebracht.

Auch neue Themen kommen hinzu, zum Beispiel werden wir über die Möglichkeiten von Hilfsmitteln aufklären. Was muss getan werden, um einen Rollstuhl oder ein Pflegebett verordnet zu bekommen?

Nicht immer lassen sich die Fragen mit einem Handout beantworten. Was
dann?

Wir bieten eine E-Mail-Beratung an, den Einzel- sowie den Expertenchat. Unser Spektrum reicht von Informationen über Leistungsansprüche bis zu Fachthemen wie Demenz. Bei der E-Mail-Beratung bekommen die Ratsuchenden innerhalb von 48 Stunden eine Antwort. Handelt es sich um eine komplexere Fragestellung, reagieren wir auch innerhalb dieses Zeitfensters, schreiben aber, dass wir diesbezüglich noch recherchieren müssen. Wir lassen niemanden im Regen stehen.

Woher beziehen Sie Ihre Informationen?

Wir sind ein dreiköpfiges Team und haben alle einen Pflege-Hintergrund. Ich bin zudem noch pflegende Angehörige und kümmere mich um meine Tante, die inzwischen in einer stationären Pflegeeinrichtung wohnt. Bei komplexen Fällen tausche ich mich aber immer auch mit meinem Team aus, alleine schon zur Qualitätssicherung. Ebenso nehmen wir die Hilfe von Kolleg*innen aus den Fachbereichen in Anspruch.

Was verstehen Sie unter einem komplexen Fall?

Das ist, wenn emotionale, soziale und finanzielle Themen zusammenkommen. Beispiel: Die Großeltern leben mit ihren Kindern und einem behinderten Enkelkind zusammen in einem Haus. Die Großmutter war das Zentrum der Familie, erlitt einen Schlaganfall und kann zu Hause nicht mehr versorgt werden.

Der Ehemann ist an Demenz erkrankt und wurde von seiner Frau betreut. Die Kinder des älteren Paares haben aufgrund ihrer beruflichen Situation finanzielle Probleme und sind erst seit Kurzem in das Haus gezogen. Das behinderte Enkelkind wurde seitdem auch von der Großmutter mitbetreut.

Die Tochter des älteren Paares ist völlig aufgelöst und bittet uns um Hilfe. Viele Fragen tun sich auf: Muss ein Antrag auf Pflegeleistungen gestellt werden? Wird ein Pflegeheimplatz für die Mutter benötigt? Wie sieht die Versorgung für den Vater aus? Wer finanziert den Pflegeheimplatz? Die Eltern haben wenig Rente, müssen die Kinder dazuzahlen? Benötigt das behinderte Enkelkind mehr Betreuung? Wer entscheidet, wenn keine Vorsorgevollmacht besteht?

Komplex heißt, wenn verschiedene Leistungsan- sprüche aus den sozialen Gesetzbüchern bestehen, wie die Krankenversicherung, die Pflegeversiche- rung, Sozialhilfe, Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder auch der Grundsicherung.

Wir zerlegen die geschilderte Situation und schauen, welche Ansprüche und Zuständigkeiten vorhanden sind. Oft sind schnelle Lösungen nötig, bei plötzlicher Krankenhausentlassung und fehlender Anschlussversorgung. Diese Anfragen haben bei uns Vorrang.

Welchen Rat haben Sie dann parat?

Ich versuche die Ratsuchenden erst einmal in ihren Rechten zu stärken und empfehle ihnen, sich an den Sozialdienst des Krankenhauses zu wenden. Wenn ein älterer Mensch, der sich zum Beispiel das Becken gebrochen hat, entlassen werden soll, es aber zu Hause niemanden gibt, der sich rund um die Uhr kümmern kann, dann hat er beispielsweise Anspruch auf Kurzzeitpflege.

Auch ohne Pflegegrad bestehen sogenannte Übergangsleistungen, wie auch Grundpflege oder hauswirtschaftliche Versorgung zu Hause. Viele wissen nicht, dass der Sozialdienst dazu beraten und unterstützen soll. Meine Funktion besteht darin, über solche Möglichkeiten zu informieren und zu beraten. Checklisten helfen Betroffenen, bei den entsprechenden Stellen die richtigen Fragen zu stellen.

Wer nutzt das Angebot der Online-Beratung?

Mehrheitlich Frauen zwischen 50 und 65, was bestätigt, dass sich vor allem diese Zielgruppe um die Pflege kümmert. Aber wir bekommen auch Anfragen von Enkelkindern, wahrscheinlich, weil sie vertrauter mit dem Internet sind.

Wie funktioniert die Einzelchat-Beratung?

Auf unserer Webseite gibt es den Bereich Einzelchat. Hier bieten wir eine Monatsübersicht mit festen Terminen zum schnellen Einzelgespräch an. Aus Datenschutzgründen ist eine Registrierung (Passwort und Benutzername)nötig. Die*der Ratsuchende bleibt dabei anonym. In einer Art virtuellem Sprechzimmer tauscht man sich direkt mit dem*der jeweiligenPflegeberater*in aus. Ratsuchende geben das Thema vor, zur besseren Vorbereitung wünschen wir uns bei der Anmeldung schon einen Hinweis darauf. So hatten wir beim letzten Einzelchat Fragen zum Hausnotrufsystem.

Gibt es ein zeitliches Limit?

Ein Einzelchat ist auf 30 Minuten begrenzt. Wenn noch Fragen offen sind, biete ich einen weiteren Chat an oder ich verlängere die Chat-Dauer. Die E-Mail-Beratung in ihrer briefähnlichen Art ist bekannter und beliebter als die Einzelchat-Beratung.

Was hat es mit dem Expertenchat auf sich?

Alle zwei Monate bieten wir, jeweils am letzten Donnerstag des Monats, einen Termin mit einem*einer Expert*in zu einem bestimmten Thema aus den Bereichen Pflege und Alter(n) an. Interessierte können sich in einer Art Gruppenchat mit einem*einer Expert*in austauschen. Wir haben im Durchschnitt sechs bis zehn Teilnehmer*innen.

Es besteht die Möglichkeit, im Vorfeld eine Frage zu stellen oder beim Starten des Chats einfach beizutreten. Das geht ganz ohne
Registrierung.

Aus welchen Bereichen kommen die Expert*innen?

Ganz unterschiedlich. Neulich war es eine Psychologin von »pflegen- und-leben.de«. Dieses Portal bietet pflegenden Angehörigen psychologische Unterstützung als Online- Beratung an. Weitere Themen sind Palliativ- und Hospizversorgung,

Demenz, Rehabilitationsleistungen oder Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Beim nächsten Termin am 30. Januar geht es um »Technische Helfer zu Hause, Haus- notrufsysteme & Co«.

Gab es Chats oder Email-Anfragen, die besonders eindrücklich waren?

Gerade Fälle, die mich über einen längeren Zeitraum begleiten, können manchmal erschütternd sein. Zum Beispiel Missbrauch von Betreuungsgewalt eines Rechtsbetreuers, der nicht im Sinne des zu Betreuenden entscheidet, sondern im eigenen Interesse. Es gibt viel gesundheitliche, finanzielle und soziale Problematik.

Ich gehe da empathisch und mit Sachverstand ran, rate in vielen Fällen zu einem persönlichen Gespräch in einem der nahen regiona- len Pflegeberatungsstützpunkte. Manchmal reicht es schon, Adressen vor Ort zu nennen. Deutschland hat eine große Beratungskultur, aber viele wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen.

Die vielen Gesetzesänderungen machen es sicher nicht einfacher.

Genau. Das war ursprünglich auch der Grund, eine Online-Pflege- und Seniorenberatung einzurichten. Mit den Reformen der Pflegeversicherung haben sich für die Versicherten auch immer mehr Ansprüche ergeben. Nur blickte da keiner mehr richtig durch. Seit 2011 gibt es nun die Online-Beratung der AWO. Das Schöne: Ich habe diesen praktischen Austausch, kann konkrete Probleme aufgreifen und sie auf die politische Ebene bringen.

Konnten Sie da schon etwas bewirken?

Ja, bei der Fahrtkostenregelung nach Paragraph 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, die seit dem 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Krankenkassen müssen die Kosten für Fahrten zur ambulanten Behandlung ohne vorherigen Antrag erstatten, wenn versicherte Personen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Zum Beispiel eine Einstufung ab Pflegegrad 3, wobei zugleich eine dauerhafte Beeinträchtigung der Mobilität vorliegen muss, die einen Bedarf an einer Beförderung zur Folge hat.

Hier reicht nun eine ausgestellte Verordnung durch eine*n der behandelnden Ärzt*innen, die mit einer Transportquittung bei der Krankenkasse eingelöst werden kann. Die Krankenkassen haben in den ersten Monaten des Jahres meist ablehnend reagiert und auf ihren Webseiten nicht darauf hingewiesen. Zur raschen Umsetzung hat sich der AWO Bundesverband auf politischer Ebene eingesetzt.

Helfen Sie auch Ratsuchenden beim Ausfüllen von Anträgen? Die sind oft alles andere als verständlich formuliert.

Ja, das kommt vor. Manche Anträge sind so kompliziert geschrieben, dass selbst ich als Expertin sie mehrmals lesen muss. Problem: Man muss für viele Leistungen einen Antrag stellen. Oft ist die Hürde hoch, pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen fühlen sich von der Bürokratie überfordert und wenden sich an uns.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Angehörige, die die Versorgung ihrer Pflegebedürftigen übernehmen und auf Anträgen zur Verhinderungspflege (Urlaubspflege) nicht klar herausfinden können, wo sie ihr Kreuz für stunden- oder tageweise Verhinderung setzen können. Oftmals wissen die Antragsteller*innen nicht, welche Konsequenzen das fehlerhafte Ausfüllen haben kann.

Seit 1. Oktober 2019 gibt es den Pflege-TÜV.
Er soll Pflegebedürftigen und Angehörigen helfen, aussagekräftigere Heimbewertungen zu erhalten. Haben Sie dazu auch schon Anfragen?

Nein, wir werden bestimmt noch Fragen dazu bekommen. In der Online-Pflege-und Seniorenberatung geht es mehr um Fragen zur Dienstleistung, zu Leistungsansprüchen, zu krankheitsspezifischen Fachfragen rund um das Thema Alter(n) und auch um die Freizeitgestaltung im höheren Lebensalter.

Viele Fragen betreffen ein Stadium vor dem Eintreten von Pflegebedürftigkeit, wie Hilfe im Haushalt, Begleitung oder Einkauf. Auch Sicherheitsfragen wie das Anschaffen von Hausnotrufsystemen kommen häufig.

Merken Sie den Trend zu Senior*innen-WGs?

Etliche Ratsuchende möchten in ein Betreutes Wohnen oder ein Wohnhaus mit Serviceangeboten umziehen. Ich unterstütze bei einer Suche, wie auch bei der Aufklärung zur Wohnform. Viele denken nämlich, es handelt sich um eine Wohnform mit ständiger Betreuung und Versorgung.

Über welche Fragen freuen Sie sich?

Mich freut es immer wieder, wenn Fragen zum Thema Freizeitgestaltung oder ehrenamtlichem Engagement für ältere Menschen kommen.

Frau Wolf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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