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Zweisamkeit im Seniorenzentrum

Zweisamkeit
© Eric Langerbeins/COMMWORK Werbeagentur GmbH

Dank Büchern wie »Silver Sex« oder Filmen wie »Wolke 9« weiß man inzwischen mehr über körperliche Bedürfnisse im hohen Alter. Doch was bedeutet das für eine Senioreneinrichtung? Ein Blick hinter die Gardinen des Walter-Heckmann AWO Senioren- und Sozialzentrums im nordrhein-westfälischen Herzogenrath.

Im Frühling flattern die Schmetterlinge über Wiesen – und nicht nur dort. Auch in so manch betagterem Bauch sorgen sie für Frühlingsgefühle! Wer glaubt, damit sei irgendwann Schluss, täuscht sich: Verliebtheit kennt kein Verfallsdatum. Und den zweiten Frühling kann man sogar noch im Spätherbst des Lebens genießen.

»Ich erinnere mich an viele Paare, die sich bei uns im Haus fanden«, sagt Klaus Eichfeld, Sozialdienstleiter im Walter-Heckmann AWO Senioren- und Sozialzentrum Herzogenrath. So wie Resi und Hans, die sich 2008 mit weit über 80 Jahren als Tischnachbarn ineinander verguckten. Sie ein mit Perlenkette herausgeputztes, temperamentvolles »Kölsche Mädche«, er ganz Gentleman, zuvorkommend und mit einer Extraportion Humor ausgestattet, der den Speisesaal oft zum Lachen brachte. Sie waren ein Paar mit allen Facetten, die die Liebe so mit sich bringt: kleine Eifersüchteleien, große Versöhnungen und auch mehr als nur Händchenhalten. Aber mit dem Thema Zärtlichkeit gingen sie diskret um – typisch für diese oft noch schamhafte Generation. Doch die Zeiten ändern sich, nicht zuletzt durch Kinofilme wie »Wolke 9«, der zu Beginn ein frisch verliebtes Pärchen um die 70 zeigt, das miteinander schläft. So entschieden wie 2008 bei der Premiere hatte man nackte, faltige Haut zuvor noch nicht auf der Leinwand gesehen.

»Verstanden werden, Fürsorge erleben« – gemäß dieser Philosophie wird das Walter-Heckmann AWO Senioren- und Sozialzentrum bei Aachen geleitet.

Endstation Pflegeheim? Von wegen! Die Chance, dort eine/n Gleichgesinnte/n zu treffen, ist gar nicht so gering wie viele vermuten. Zumindest ist sie höher als innerhalb der eigenen vier Wände. Gerade nach dem Tod des Partners erleben zahlreiche Männer und Frauen große Einsamkeit. Nachbarn und Bekannte sind selbst mit Krankheit oder der Pflege von Angehörigen beschäftigt, die Kinder leben oft weit weg.

Wer mag, kann im Seniorenzentrum jeden Tag etwas erleben und Bekanntschaften machen. Ob im Sing- oder Gymnastikkreis, beim gemeinsamen Kochen oder beim Kinoabend – an Gelegenheiten mangelt es nicht. Ganz zu schweigen von Festen und Veranstaltungen wie Karneval, Tanz in den Mai oder Candle-Light-Dinner, bei denen man sich näherkommt. Denn selbst wer am Rollator geht, ist fit genug für Luftsprünge, auch bei Schwerhörigkeit versteht man Liebesgeflüster und ein geschwächtes Herz kann noch gehörig klopfen.

»Zu mir kam einmal eine verliebte Bewohnerin, die gerne eine Nacht mit ihrer neuen Bekanntschaft verbringen wollte«, erzählt Angelika Mehlkop, die als Alltagsbegleiterin arbeitet. »Weil die Dame aber unter einer Herz-Kreislauf-Schwäche litt, machte sie sich Sorgen um ihre Gesundheit. Der Hausarzt gab jedoch grünes Licht und sie erzählte mir später, wie sehr sie dieses Erlebnis genossen hat.«

Sich als Frau oder als Mann fühlen – diese Sehnsucht bleibt ein Leben lang. Doch wenn der alleinstehende (Groß-)Vater oder die (Groß-)Mutter wieder eine Liaison eingehen, tun sich die (Enkel-) Kinder nicht immer leicht. »An mich sind schon Angehörige mit der Bitte herangetreten, das neue Verhältnis zu unterbinden«, sagt Einrichtungsleiter Lothar Cecharowski. »Aber das ist ja die freie Wahl von zwei selbstbestimmten Menschen – da kann und will ich nicht intervenieren.«

Anders der Fall von zwei Bewohnern, die aus ihren Gefühlen keinen Hehl machten, miteinander kuschelten und sich schließlich ein Doppelzimmer wünschten – allerdings war der Mann verheiratet und bekam jeden Tag Besuch von seiner Frau. »Dass er quasi untreu war, ist ihm aufgrund seiner demenziellen Erkrankung nicht bewusst gewesen«, so Pflegedienstleiter Henning Orlowski. Zum Glück war die Ehefrau sehr verständnisvoll.

Es ist Fingerspitzengefühl gefragt, vor allem bei den Mitarbeitern. Auch dann, wenn der Wunsch nach Lust verschaffenden Hilfsmitteln wie etwa einem Vibrator aufkommt. »Wir versuchen, auf die Bedürfnisse einzugehen«, sagt AWO Mitarbeiterin Mehlkop. Noch sind solche Anfragen die große Ausnahme. Aber in ein paar Jahren zieht die Generation der Alt-68er ein – und mit ihr bestimmt auch ein neuer Umgang mit Liebe und Sexualität.

Team AWO Herzogenrath
Das AWO Team in Herzogenrath (v. l.): Einrichtungsleiter Lothar Cecharowski, Alltagsbegleiterin Angelika Mehlkop, Sozialdienstleiter Klaus Eichfeld, stv. Pflegeleiterin Petra Teichmann und Pflegedienstleiter Henning Orlowski.

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