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Willkommen in der Garten-Saison

Mit Schürze, Schaufel, Harke und Handschuhen machte sich eine gut gelaunte Truppe nach draußen. Während ganz Deutschland über das schlechte Frühlingswetter fluchte, herrschte im Kölner Marie-Juchacz-Zentrum eitel Sonnenschein. Dort startete nämlich ein einzigartiges Gartenprojekt, eines, bei dem die Senioren ihr Obst und Gemüse selbst anbauen. Bereits im März hatten sie den Innenhof als Streuwiese gestaltet und Apfel- und Birnenbäume sowie Beerensträucher eingepflanzt. Nun ging es darum, die Dachterrasse zu begrünen, Beton in blühende Landschaften zu verwandeln. »Urban gardening« heißt der Gartentrend in den Großstädten, den seit dieser Saison auch die AWO in Köln praktiziert: Statt in den Boden werden die Setzlinge in mobile Behälter, in Reissäcke oder in Kunststoffkörbe gepflanzt, die sich wiederum in rückenschonenden Hochbeeten befinden. Sie wurden in zwei Höhen aufgestellt: die einen, die man im Stehen bewirtschaften kann, und niedrigere für Rollstuhlfahrer. Entschieden hatte man sich unter anderem für Sellerie, Kohlrabi, Spitzkohl, Radieschen und Zwiebeln, dazu diverse Kräuter wie Petersilie, Thymian und Schnittlauch.

Mit viel Hingabe und Konzentration lockerten die Hobbygärtner das Ton-Erde-Gemisch auf, gruben Löcher für die Samen und ließen sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als dunkle Gewitterwolken aufzogen. Man merkte, es waren erfahrene Männer und Frauen am Werk, die ihr Handwerk verstehen und die wissen: »Regnet’s dem Bauern auf die Saaten, dann regnet es für ihn Dukaten.« Jetzt, fast acht Wochen danach, können sie erste Früchte ihrer Arbeit ernten: Erdbeeren und Rhabarber, Salat, Gurken, Bohnen und Tomaten. Aber auf der Dachterrasse gedeihen nicht nur Obst und Gemüse prächtig, sondern auch neue Bekanntschaften. »Früher fand oben nur vereinzelt mal ein Grillnachmittag statt«, so AWO Projektleiterin Verena Köhne. »Inzwischen ist dort täglich etwas los. Auch Bewohner, die nicht mehr gärtnern können, gesellen sich dazu, denn wir haben dafür gesorgt, dass alle Wege barrierefrei sind und der Fahrstuhl nun bis in den 5. Stock fährt.«

Ein Segen für Wilhelm Lehnen, der auf diese Weise seine pflegebedürftige Frau zum Freiluft-Fleckchen chauffieren und gemeinsam mit ihr den Sommer über den Dächern von Chorweiler genießen kann.

Sie sitzt dann in der Sonne und ich kann ein bisschen in der Erde rumwühlen.« Der 76-Jährige gehört zu den »Gartenpaten«, die sich jeweils um einen Bereich kümmern, wie z. B. Blumen gießen, mähen oder Zweige schneiden. »Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass mir das noch mal so viel Freude machen würde«, gibt Herr Lehnen zu. Als Kind musste er seinem Stiefvater im Garten viel zur Hand gehen, während seine Schulkameraden spielen und schwimmen durften. Um das seinen eigenen Kindern zu ersparen, gab es später auf dem Familiengrundstück vor allem Rasen zum Toben und Federballspielen. Mit dem Wissen von einst kann er aber heute mit Rat und Tat zur Seite stehen. »Die Salatköpfe sind zu nah aneinandergereiht – die brauchen mindestens 20 Zentimeter Platz dazwischen«, weiß der gelernte Schreiner. »Da müssen wir im nächsten Jahr mehr drauf achten.«
Viele Bewohner sind mit einem Garten aufgewachsen, tauschen ihre Erfahrungen aus, fachsimpeln und kommen auf diese Weise schnell ins Gespräch. »Ich habe etliche neue Bekanntschaften gemacht, fühle mich dadurch nicht so alleine«, sagt Wilhelm Lehnen und fügt hinzu: »Die einen gehen in die Pinte, ich geh in den Garten.«

Neben dem Aspekt der Geselligkeit dienen die Grün-flächen in den Seniorenzentren als Anregung für die Sinne. Insbesondere demenziell erkrankte Menschen erreicht man durch das unmittelbare Erleben der Natur. »Die Erinnerungen kommen leichter beim Fühlen, Riechen und Schmecken«, sagt Christa Lebert, die als gerontopsychiatrische Fachkraft im AWO Seniorenzentrum Mömlingen die Gartengruppe leitet. »Gerade jetzt, wenn die Rosen blühen, verbinden das die Frauen beispielsweise mit ihrem Brautstrauß, was wiederum schöne Gefühle auslöst.«

Passend zur jahreszeitlichen Vegetation werden in der Runde unter freiem Himmel Gedichte vorgetragen, Lieder gesungen, und es wird über Bauern- und Wetterregeln gesprochen. Wer nicht mehr in der Lage ist daran teilzunehmen, den besucht Frau Lebert auf dem Zimmer – nicht ohne ein Kräutersträußchen mitzubringen, Zweige eines Apfelbaumes oder Fichtennadelspitzen. Hauptsache, es duftet, sieht hübsch aus und stimuliert.

Den Garten gezielt zur Therapie bei Demenz einzusetzen, gehört auch zum Konzept des Aschaffenburger Bernhard-Junker-Seniorenzentrums. Einrichtungsleiter Hubert Rösch initiierte jüngst ein Projekt, bei dem Altenpflegeschüler zusammen mit dementen Senioren zwei neue Hochbeete bepflanzten. »Die jungen Leute waren sehr überrascht, wie schnell sie auf diese Weise Kontakt und Vertrauen zu den Bewohnern aufbauen konnten und welche Freude alle an der Gartenarbeit hatten«, erzählt der betreuende Klassenlehrer Michael Roloff. Selbst wer unter Parkinson oder Rheuma leide, würde in der Natur plötzlich merken, dass die Feinmotorik doch besser funktioniert als gedacht. Das stärkt das Selbstwertgefühl. Und es weckt Gedanken an früher, an die Kriegs- und Nachkriegszeit, als Gärten die Speisekammern der Republik waren. Glücklich, wer einen hatte und nicht hungern musste. »Die Bewohner erzählen viel von diesen Jahren«, sagt Hatice Özdemir, stellvertretende Pflegedienstleiterin im Nürnberger Käte-Reichert-Alten-und Pflegeheim der AWO. »Der Garten eignet sich wunderbar für die Biografiearbeit, die Erlebnisse im Langzeitgedächtnis abruft.« So weiß Gertrud Hesslein noch genau, wie sie und ihre fünf Geschwister als Kinder dafür zuständig waren, die Johannis-, Stachel- und Erdbeeren zu pflücken, aus denen die Mutter dann Marmelade einkochte.

»Auch Kartoffeln und Gemüse ernten, putzen und schälen gehörte zu unseren Aufgaben«, so die 83-Jährige.

Es habe ihr Spaß gemacht – im Gegensatz zur Arbeit im Schrebergarten ihrer Schwiegereltern, in den sie und ihr Mann später jedes Wochenende fuhren. »Die Schwiegermutter und ich haben gekocht, mein Mann die Hecke geschnitten – und als die Arbeit getan war, fing es meist an zu regnen.«

Da war er wieder, der Regen, der einem immer wieder den Spaß am Freiluftvergnügen verderben kann. Immerhin gibt es im Käte-Reichert-Haus einen schönen Wintergarten, der besonders an Schlecht-Wetter-Tagen zu den Lieblingsplätzen der Bewohner gehört. Schließlich tut schon allein der Blick auf die Natur gut. Grün, so die Farbpsychologie, habe eine regenerierende, harmonisierende Wirkung und entspanne die Augen. Natürlich ist der Effekt noch größer, wenn man sich auch tatsächlich draußen aufhält. Bäume, Sträucher, Vogelgezwitscher, der Duft von feuchtem Waldboden oder frisch gemähtem Gras – all das macht glücklich. Sogar der Geruch von modrigem Laub, weil wir ihn schon in Kindheitstagen abgespeichert haben. Was jeder aus eigener Erfahrung weiß, nämlich, dass Aufenthalte im Freien einen positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, wurde jetzt auch wissenschaftlich bestätigt: Britische Forscher von der University of Exeter haben herausgefunden, dass in Zeiten, in denen Menschen näher an Grünflächen leben, ihre psychische Gesundheit und Zufriedenheit höher ist als in Jahren, in denen sie vor allem von Gebäuden umgeben sind.

»Ich vermisse meinen Garten«, erzählt Käthe Mina, die passend zum Thema ein geblümtes T-Shirt trägt. Bis letztes Jahr hat sie noch in ihrem Haus auf einem 800 qm großen Grundstück gelebt, auf dem sie von Himbeeren bis Radieschen alles anbaute. Aber wie einem Großteil der älteren Generation wurde auch ihr die Gartenarbeit zu viel, zumal sie inzwischen im Rollstuhl sitzt. Heute freut sich die 85-Jährige, dass ihr botanisches Knowhow in ihrem neuen Zuhause so gefragt ist.

Mit einem Prachtexemplar von Parkgarten kann die AWO Seniorenresidenz in Bad Kissingen aufwarten. Wie ein riesiger, farbenfroher Teppich legt er sich geschmeidig um die Anlage und kommt mit überraschenden Elementen daher.

Da gibt es zum Beispiel ein Moorbeet, in dem fleischfressende Pflanzen wie die Kobralilie und Venusfliegenfalle wachsen, Palmen und ein Kakteenbeet, das aussieht wie eine Installation. Neben solchen Extravanzen schmücken aber größtenteils heimische Pflanzen das fünf Hektar riesige Terrain, durch das an diesem sonnigen Tag die beiden zuständigen Gärtner Ronny Reith und Harald Markert führen.

Eine große Schar interessierter Bewohner lauscht den Erläuterungen der in grünen Latzhosen gekleideten Männer. »Und hier sehen Sie die Elsbeere, die es früher häufig in unseren Wäldern gab, aber inzwischen eine Seltenheit ist«, so Harald Markert, und zeigt auf ein Gewächs, das der Vogelbeere sehr ähnelt. »2011 wurde die Elsbeere zum Baum des Jahres gekürt. Sie hat eine wunderschöne Herbstfärbung und ihre Früchte gelten als Delikatesse.«

Weiter geht es im Tross, vorbei an mit Löwenzahn und Gänseblümchen gesprenkelten Biowiesen, an Rosen und Brombeersträuchern, an Magnolienbäumen und Spalierobst. »Ist dieses Vogelgezwitscher nicht herrlich?!«, ruft ein Herr, als sie sich den Volieren nähern. Die Nymphen- und Wellensittiche sind aber nicht die einzigen »Haustiere« dieser AWO Anlage. Es gibt auch einen Hühnerstall, 14 Schildkröten sowie eine große Teichanlage mit Goldfischen, Koikarpfen und Fröschen. »Dieser Park hier inspiriert und belebt mich«, sagt Christiane Rottzoll, die vor acht Jahren von Wiesbaden in die Seniorenresidenz nach Bad Kissingen zog. »Als absoluter Naturmensch war mir die Lage sehr wichtig«, so die einstige Biologie- und Erdkunde-Lehrerin, die am liebsten mit einem Bestimmungsbuch durch die Landschaften streift. »Von meinem Balkon kann ich auf den Wald schauen. Das macht mich glücklich.«

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